§ 51 RVG
Leitsatz
Dem gesetzgeberischen Grundgedanken, einen Zeugenbeistand als auf die Vernehmung beschränkt anzusehen und deshalb nicht wie einen Verteidiger zu vergüten, kann ggf. dann keine Bedeutung zukommen, wenn der Zeugenbeistand dem Zeugen an mehreren Verhandlungstagen über längere Zeit Beistand geleistet hat.
OLG Dresden, Beschl. v. 3.1.2023 – 4 St 2/21
I. Sachverhalt
Der Rechtsanwalt ist durch das OLG als Beistand eines Zeugen bestellt. Der Zeuge, der sich im Zeugenschutzprogramm befand, wurde in der Zeit vom 28.7.2022 bis zum 23.11.2022 an zwölf Tagen in der Hauptverhandlung vernommen. Während die letzte Vernehmung nach zweieinhalb Stunden beendet war, dauerten eine Vernehmung länger als drei Stunden, eine Vernehmung länger als vier Stunden, eine Vernehmung länger als fünf Stunden, vier Vernehmungen jeweils länger als sechs Stunden und weitere vier Vernehmungen jeweils länger als sieben Stunden
Nach der Entlassung des Zeugen hat der Rechtsanwalt die Bewilligung einer Pauschvergütung i.H.v. 12.000,00 EUR beantragt. Er hat seinen Antrag mit der Bedeutung der Aussage des gefährdeten und deshalb geschützten Zeugen für das Verfahren sowie die dadurch erschwerte Kommunikation mit dem Zeugen begründet. Schließlich habe sich die Vernehmung des Zeugen über zwölf Verhandlungstage erstreckt, in denen bei einem entsprechend eingebundenen Pflichtverteidiger Gebühren i.H.v. 8.213,00 EUR netto entstanden wären.
Die Bezirksrevisorin bei dem OLG hat grds. eine Erhöhung der nach ihrer Ansicht entstandenen gesetzlichen Gebühr von 220,00 EUR (Nr. 4301 Nr. 4 VV) je nach Dauer der Zeugenvernehmung um 100,00 bis 400,00 EUR je Verhandlungstag für angemessen gehalten, mithin um insgesamt 3.200,00 EUR. Sie ist jedoch mit Blick auf die Anzahl der Vernehmungstage und die Dauer der jeweiligen Vernehmungen auch einer darüber hinausgehenden angemessenen Erhöhung der gesetzlichen Vergütung nicht entgegengetreten.
Das OLG hat eine Pauschgebühr i.H.v. 8.000,00 EUR bewilligt.
II. Voraussetzungen für eine Pauschgebühr nach § 51 RVG
Gem. § 51 Abs. 1 S. 1 und 3 RVG sei – so das OLG – Voraussetzung der Bewilligung einer Pauschgebühr, die über die gesetzlichen Gebühren hinausgeht, dass diese wegen des besonderen Umfangs oder der besonderen Schwierigkeit der Sache bzw. des betroffenen Verfahrensabschnitts nicht zumutbar sei. Die Bewilligung einer Pauschgebühr stelle dabei die Ausnahme dar; die anwaltliche Mühewaltung müsse sich von sonstigen – auch überdurchschnittlichen Sachen – in exorbitanter Weise abheben. Bei der Beurteilung sei ein objektiver Maßstab zugrunde zu legen. Entscheidend sei, ob die konkrete Strafsache selbst umfangreich gewesen sei und infolge dieses Umfangs eine zeitaufwändigere, gegenüber anderen Verfahren erhöhte Tätigkeit des Rechtsanwaltes erforderlich geworden sei (vgl. BGH, Beschl. v. 1.6.2015 – 4 StR 267/11, AGS 2016, 5 = RVGreport 2015, 375 m.w.N.). Diese Voraussetzungen sieht das OLG als erfüllt an.
III. Zeugenbeistand grundsätzlich Einzeltätigkeit, aber…
Die in der Stellungnahme der Bezirksrevisorin wiedergegebene grundsätzliche Auffassung entspreche der st. Rspr. der Strafsenate des OLG Dresden, soweit diese in der Vergangenheit die Tätigkeit des Zeugenbeistandes als Einzeltätigkeit gewertet haben (vgl. OLG Dresden, Beschl. v. 10.12.2021 – 6 Ws 42/21, AGS 2022, 130 = StraFo 2022, 42 m.w.N.). Im vorliegenden Fall erschien dem OLG jedoch auch die nach diesen Grundsätzen zuzuerkennende Erhöhung nicht mehr als angemessen. Dem gesetzgeberischen Grundgedanken, den Zeugenbeistand als auf die Vernehmung beschränkt anzusehen und deshalb nicht wie einen Verteidiger zu vergüten, komme vorliegend mit Blick auf die Anzahl der Vernehmungstage und die Dauer der Vernehmungen nur noch untergeordnete Bedeutung zu. Vielmehr sei maßgeblich, dass die Vernehmungen überwiegend jeweils nahezu den vollständigen Verhandlungstag in Anspruch genommen haben und sich der Zeuge über zwölf Verhandlungstage hinweg der Befragung durch den Senat, die Bundesanwaltschaft, acht Verteidiger und die Nebenklägervertreter zu verschiedenen Komplexen ausgesetzt gesehen habe. Der Zeuge habe sich zudem aufgrund seiner bereits im Verfahren vor der Polizei gemachten Aussagen im Zeugenschutzprogramm befunden. Die Kommunikation des Beistandes mit seinem Mandanten sei deshalb in besonderem Maße erschwert gewesen. Auch wenn der Zeugenbeistand vor diesem Hintergrund einem Verteidiger nicht vollständig gleichstehe, erscheine es gleichwohl geboten, sich bei der Bemessung einer Pauschgebühr an den Gebühren eines entsprechend tätigen Pflichtverteidigers zumindest zu orientieren. Insgesamt erschien es dem OLG daher sachgerecht, eine Pauschgebühr i.H.v. insgesamt 8.000,00 EUR zu bewilligen.
IV. Bedeutung für die Praxis
Vorab: Die gewährte Pauschgebühr ist nicht zu beanstanden, wenn man den Zeitaufwand des nach § 68b StPO beigeordneten Zeugenbeistandes sieht. Aber:
1. Das OLG argumentiert mal wieder – gebetsmühlenartig – damit, dass die "Bewilligung einer Pauschgebühr … dabei die Ausnahme dar[stelle]; die anwaltliche Mühewaltung müsse sich von sonstigen – auch überdurchschnittlichen Sachen – in exorbitanter Weise abheben." Das ist nicht ...