§ 14 Abs. 1 RVG; Nr. 2300 VV RVG
Leitsatz
Zur Angemessenheit einer 2,5-Geschäftsgebühr in einer arbeitsrechtlichen Angelegenheit betreffend die Abwehr einer Kündigung.
AG Berlin-Mitte, Urt. v. 9.10.2023 – 3 C 26/22
I. Sachverhalt
Der Beklagte hatte den Kläger am 30.7.2021 mit seiner Beratung und Vertretung im Zusammenhang mit der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses beauftragt. Im Zuge des Mandats beauftragte der Beklagten den Kläger weiterhin mit der Geltendmachung einer Überstundenvergütung, wofür der Kläger 4,8 Stunden aufwendete. Mit Schriftsatz v. 16.8.2021 erhob der Kläger im Auftrag des Beklagten gegen dessen Arbeitgeber Kündigungsschutzklage. Das arbeitsgerichtliche Verfahren endete durch Vergleichsbeschluss v. 8.9.2021 vor dem ArbG Berlin.
Der Gebührenstreitwert des zugrundeliegenden Rechtsstreits betrug 50.009,07 EUR.
Mit Rechnung v. 15.11.2021 machte der Kläger gegenüber dem Beklagten für seine vorgerichtliche Tätigkeit eine 2,5-Geschäftsgebühr geltend. Der Rechtsschutzversicherer des Beklagten und der Beklagte glichen diese Rechnungen nur teilweise i.H.v. 7.845,39 EUR aus.
Mit Schreiben v. 10.12.2021 forderte der Kläger den Beklagten auf, den ausstehenden Gebührenbetrag i.H.v. 1.642,32 EUR innerhalb von 14 Tagen zu zahlen. Der Kläger behauptet, er habe 10,8 Stunden für die Mandatsbearbeitung im Hinblick auf Kündigungsschutzklage aufgewendet und legt hierzu eine Zeitaufstellung vor. Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Für die außergerichtliche Tätigkeit im Rahmen der Kündigungsschutzklage seien maximal 5 Stunden anzusetzen. Er meint, eine Gebührenkürzung auf den Faktor 1,3 halte sich im Rahmen.
Das Gericht hat ein Gutachten des Vorstandes der Rechtsanwaltskammer Berlin eingeholt und hiernach der Klage stattgegeben.
II. 2,5-Gebühr ist nicht unbillig
Dem Kläger steht gegen den Beklagten ein Anspruch i.H.v. weiteren 1.642,32 EUR aus §§ 611 Abs. 1, 675 BGB i.V.m. dem zwischen den Parteien zustande gekommenen Rechtsanwaltsvertrag zu.
Der Kläger hat mit Kostennote v. 15.11.2021 eine 2,5-Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV, zzgl. Auslagen und Mehrwertsteuer, mithin insgesamt 9.487,71 EUR berechnet. Die Rechtsschutzversicherung des Beklagten hat hierauf bislang 7.845,39 EUR (1,3-Gebühren zzgl. Auslagen und Mehrwertsteuer) erstattet.
Die vom Kläger angesetzte Gebührenhöhe ist nicht zu beanstanden. Die berechnete 2,5-Gebühr nach Nr. 2300 VV ist nicht unbillig.
Die Höhe der Gebühr für die außergerichtliche Tätigkeit richtet sich nach Nr. 2300 VV. Gem. Anm. Abs. 1 zu Nr. 2300 VV beträgt der Gebührenrahmen 0,5 bis 2,5.
Die Festsetzung ist eine einseitige Leistungsbestimmung durch den Gläubiger i.S.v. § 315 BGB. Der Rechtsanwalt setzt sie nach billigem Ermessen fest. Der Rechtsanwalt hat bei der Ausübung seines Ermessens den Umfang seiner Tätigkeit und deren rechtliche und tatsächliche Schwierigkeit zu beachten. Er hat der Bedeutung der Angelegenheit für seinen Auftraggeber und dessen wirtschaftlichen Verhältnissen Rechnung zu tragen. Auch ein besonderes Haftungsrisiko ist zu berücksichtigen.
Eine Gebühr von mehr als 1,3 kann nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war (Anm. Abs. 1 zu Nr. 2300 VV), wobei sich dies nach den Umständen im konkreten Einzelfall richtet (BGH, Urt. v. 10.5.2022 – VI ZR 156/20, Rn 17 m.w.N., AGS 2022, 355). Durch die Ausübung des Gestaltungsrechts wird die Schuld mit Verbindlichkeit für beide Seiten festgesetzt. Die Bestimmung kann nur dann durch das Gericht ersetzt werden, wenn sie unbillig war.
Gemessen an diesem Maßstab ist die Bestimmung durch den Kläger nicht unbillig.
Er durfte eine Gebühr von mehr als 1,3 fordern, da die Tätigkeit sowohl schwierig als auch umfangreich war. Eine Gebühr von 2,5 ist nicht ermessensfehlerhaft.
1. Rechtlich schwierig
Das Gericht ist davon überzeugt, dass vorliegend die Tätigkeit in rechtlicher Hinsicht schwierig i.S.d. Anm. Abs. 1 zu Nr. 2300 VV war. Die Schwierigkeit einer Angelegenheit i.S.v. Anm. Abs. 1 zu Nr. 2300 VV bestimmt sich nach den Kenntnissen eines durchschnittlichen, nicht spezialisierten Rechtsanwalts (s. etwa OLG Stuttgart, Urt. v. 20.12.2019 – 5 U 202/18, Rn 82, juris m.w.N.). Anhaltspunkte für besonders schwierige Fragestellungen sind etwa im Normalfall nicht auftretende Fragestellungen in juristischer und/oder tatsächlicher Hinsicht. Der Umstand, dass für ein bestimmtes Rechtsgebiet eine Fachanwaltschaft in der FAO vorgesehen ist, hat eine Indizwirkung hinsichtlich der Schwierigkeit der Tätigkeit (HK-RVG/K. Winkler, 8. Aufl., 2021, § 14 Rn 20).
Anwaltliche Tätigkeit gilt auch dann als schwierig, wenn es sich bei dem Anwalt um einen Spezialisten auf dem betreffenden Gebiet handelt, für den die Sache aufgrund seiner Spezialisierung anders als für den Allgemeinanwalt nicht so schwierig ist (HK-RVG/K. Winkler, a.a.O., § 14 Rn 22). Vorliegend geht es sowohl um eine Kündigungsschutzklage, bei der u.a. auch zu prüfen ist, ob die notwendigerweise vorzunehmende Sozialauswahl durch den Arbeitgeber zutreffend ausgeübt worden ist, was bei einem Betrieb mit mehr als 10 Arbeitne...