§ 5 JVEG
Leitsatz
Ein freigesprochener Angeklagter kann Reisekosten von einem anderen Ort als seiner Meldeadresse nach dem Sinn und Zweck des § 5 Abs. 5 JVEG grundsätzlich selbst dann fordern, wenn er die weitere Anreise nicht zuvor angezeigt hat. Eine Ausnahme kann nur dann gelten, wenn die Anwesenheit des Angeklagten entgegen § 230 Abs. 1 StPO ausnahmsweise zur Disposition des erkennenden Gerichts gestanden hätte.
LG Karlsruhe, Beschl. v. 6.12.2023 – 16 Qs 57/23
I. Sachverhalt
Gegen den ehemaligen Angeklagten war ein Verfahren wegen des Verdachts des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und wegen Volksverhetzung gem. §§ 86a Abs. 1 Nr. 4, 86a Abs. 1 Nr. 1, 130 Abs. 3, 52 StGB anhängig. In diesem wurde er unter seiner Wohnanschrift/Meldeadresse in Pforzheim in der Bundesrepublik Deutschland schriftlich vorgeladen. Daraufhin legitimierte sich sein Verteidiger als Wahlverteidiger. Seinem Schreiben v. 20.7.2022 war die auf ihn ausgestellte und unterschriebene Vollmacht des ehemaligen Angeklagten beigefügt, auf der sich ebenfalls die Adressdaten der deutschen Meldeadresse befand.
Auf Antrag der Staatsanwaltschaft hat das AG gegen den ehemaligen Angeklagten einen Strafbefehl. Auf den Einspruch des Verteidigers fand am 1.3.2023 beim AG Pforzheim von 11:02 Uhr bis 11:16 Uhr die Hauptverhandlung statt. In dieser erwähnte der ehemalige Angeklagte erstmals, dass er aus geschäftlichen Gründen eine österreichische Anschrift habe. Die Hauptverhandlung wurde am 22.3.2023 von 14:52 Uhr bis 15:00 Uhr fortgesetzt.
Der Angeklagte wurde freigesprochen. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten wurden der Staatskasse auferlegt. Das Urteil des AG Pforzheim v. 22.3.2023 ist seit dem 30.3.2023 rechtskräftig.
Der ehemalige Angeklagte hat u.a. Reisekosten i.H.v. 985,00 EUR geltend gemacht. Das hat er u.a. damit begründet, er sei tatsächlich in Oberparschenbrunn in Österreich wohnhaft. Hierzu legte er eine entsprechende Meldebestätigung v. 4.11.2021 vor. Nach Aktenlage hat der Angeklagte erstmals im Rahmen der Kostenfestsetzung erwähnt, dass er auch von Österreich aus und nicht von seiner Meldeadresse in Pforzheim zu den Hauptverhandlungsterminen habe anreisen müssen.
Die Bezirksrevision ist der Festsetzung der geltend gemachten Reisekosten entgegengetreten. Die Fahrtkosten aus Österreich seien nicht festzusetzen. Der Angeklagte sei offiziell in Pforzheim gemeldet und auch dort geladen worden. Ein ausdrücklicher Hinweis auf die beabsichtigte Fahrt aus dem Ausland sei vor Durchführung der Hauptverhandlung nicht ersichtlich. Ansonsten wäre es dem Gericht ggf. möglich gewesen, die Hauptverhandlung so zu legen, dass sich der Beschwerdeführer ohnehin an seiner Meldeadresse in Pforzheim aufgehalten hätte. Das AG ist dem gefolgt. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde des ehemaligen Angeklagten hatte Erfolg.
II. Fahrtkosten erstattungsfähig
Das LG hat die von dem ehemaligen Angeklagten geltend gemachten Fahrtkosten von seinem Wohnsitz in Österreich aus nach Pforzheim als erstattungsfähig angesehen. Ausgangspunkt für die Beurteilung der Erstattungsfähigkeit sei § 5 Abs. 5 JVEG, der unmittelbar anwendbar sei. Durch den ausdrücklichen gesetzlichen Verweis bedürfe es einer entsprechenden Anwendung von §§ 5, 6 JVEG nicht (in diesem Sinne aber offenbar Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., 2023, § 464a Rn 15 m.w.N.). Aus § 5 Abs. 5 JVEG folge: Werde die Reise zum Ort des Termins "von einem anderen als dem" in der Ladung oder Terminsmitteilung bezeichneten oder der zuständigen Stelle "unverzüglich angezeigten Ort" angetreten oder werde zu einem anderen als zu diesem Ort zurückgefahren, würden Mehrkosten nach billigem Ermessen nur dann ersetzt, wenn der Berechtigte zu diesen Fahrten durch besondere Umstände gezwungen gewesen sei.
Eine förmliche Anzeige des Reiseantritts des ehemaligen Angeklagten aus Österreich sei nicht aktenkundig. Die jedenfalls von ihm behauptete Erwähnung seiner Arbeitsstelle in Österreich im Rahmen der Hauptverhandlung erfülle erkennbar nicht die Anforderung an eine ordnungsgemäße Anzeige. Dem Wortlaut der Norm nach kommt die vom ehemaligen Angeklagten begehrte Erstattung nach billigem Ermessen demnach nur noch in Betracht, wenn der Berechtigte zu diesen Fahrten durch besondere Umstände gezwungen gewesen sei (vgl. LG Koblenz MDR 1998, 1183 zu § 9 ZESG; erwähnt bei JVEG/Schneider, 4. Aufl., 2021, JVEG, § 1 Rn 158).
Für Angeklagte sei die Regelung nach ihrem Sinn und Zweck sowie dem systematischen Zusammenhang mit den Vorschriften der StPO jedoch einschränkend auszulegen: Die unverzügliche Anzeige solle dem Gericht nur die Prüfung ermöglichen, ob es den Zeugen, Sachverständigen oder sonstigen Beteiligten zunächst abbestellen will (vgl. OLG Dresden JurBüro 1998, 269). Hätte das Gericht die Ladung aber in jedem Fall aufrechterhalten, so seien dem Beteiligten die Mehrkosten der An- und/oder Rückreise von oder zu einem anderen als dem in der Ladung angegebenen Ort auch dann zu erstatten, wenn er die Anreise von dem anderen Ort verspätet ...