1. Lösung zum Ausgangsfall

I. Angefallene Gebühren und Auslagen

Die Entgegennahme der Berufungsschrift gehört gem. § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 9 RVG zum (ersten) Rechtszug und wird durch die in der ersten Instanz verdiente Verfahrensgebühr abgegolten.

Rechtsanwalt A ist jedoch auch darüber hinaus tätig geworden. Er hat – was als zur sachgemäßen Bearbeitung des Berufungsmandats gehörend unterstellt werden kann – nach Erhalt der Berufungsschrift geprüft, was für den Kläger zu veranlassen ist und hat den ferner den Berufungszurückweisungsantrag enthaltenden Schriftsatz v. 10.3. beim Berufungsgericht eingereicht. Damit hat Rechtsanwalt A gem. Vorbem. 3 Abs. 2 VV das Geschäft im Berufungsrechtszug betrieben und die 1,6-Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 VV ausgelöst.[1]

Ferner kann Rechtsanwalt A die Postentgeltpauschale nach Nr. 7002 VV abrechnen, weil ihm durch Übersendung einer Abschrift seines Schriftsatzes v. 10.3. an den Kläger ein Postentgelt i.S.d. Nr. 7001 VV entstanden ist.

Außerdem steht Rechtsanwalt A nach Nr. 7008 VV ein Anspruch auf die Umsatzsteuer zu.

[1] S. BAG AGS 2024, 69 [Hansens], in diesem Heft.

II. Gegenstandswert

Gem. § 23 Abs. 1 S. 1 RVG bestimmt sich der Gegenstandswert nach den für die Gerichtsgebühren maßgebenden Streitwertvorschriften. Nach dem somit anwendbaren § 47 Abs. 1 S. 2 GKG bestimmt sich der Streitwert nach der Beschwer des Beklagten, weil das Berufungsverfahren infolge der Berufungsrücknahme geendet hatte, ohne dass der Beklagte einen Antrag eingereicht hat. Der Beklagte war durch das erstinstanzliche Urteil, das ihm zur Zahlung von 20.000,00 EUR verurteilt hatte, beschwert. Dieser Betrag ist damit als Gegenstandswert anzusetzen.

III. Vergütung des Prozessbevollmächtigten des Klägers

Somit ist Rechtsanwalt A folgende Vergütung angefallen:

 
 
1. 1,6-Verfahrensgebühr, Nr. 3200 VV 1.315,20 EUR
  (Wert: 20.000,00 EUR)  
2. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV 20,00 EUR
3. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV 253,69 EUR
  Gesamt 1.588,89 EUR

IV. Erstattungsfähige Kosten

1. Grundsätze

Grds. sind die dem Rechtsanwalt der obsiegenden Partei angefallenen gesetzlichen Gebühren und Auslagen gem. § 91 Abs. 2 S. 1 Hs. 1 ZPO kraft Gesetzes erstattungsfähig. Diese Vorschrift hindert jedoch nicht die Prüfung im Kostenfestsetzungsverfahren, ob die einzelne Maßnahme des Prozessbevollmächtigten der obsiegenden Partei zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war. Dies beurteilt sich aus der "verobjektivierten" ex-ante-Sicht des Klägers.[2] Es ist also zu prüfen, wie sich eine vernünftige, das Gebot der Kostenschonung beachtende, Partei in der Lage des Klägers verhalten hätte. Eine solche verständige Partei hätte nach Zustellung der Berufungsschrift – wie es hier auch der Kläger getan hat – einen Rechtsanwalt mit der Vertretung im Berufungsverfahren beauftragt.[3] Dem steht nicht entgegen, dass zu dem Zeitpunkt, als der Kläger am 8.3. Rechtsanwalt A mit seiner Vertretung im Berufungsverfahren beauftragt hatte, infolge der am 5.3. wirksam gewordenen Berufungsrücknahme eine Vertretung im Berufungsverfahren objektiv nicht mehr notwendig war. Denn es ist auch zu berücksichtigen, welche Kenntnis der Kläger und/oder sein Prozessbevollmächtigter vom Verfahrensstand hatte, als der Rechtsanwalt die die Verfahrensgebühr auslösenden Tätigkeiten erbracht hat. Als mit Erteilung des Vertretungsauftrags für die Berufungsinstanz und der damit verbundenen Information und der anschließend vorgenommenen Prüfung die ermäßigte Verfahrensgebühr nach Abs. 1 Nr. 1 der Anm. zu Nr. 3201 VV entstanden war, hatte weder der Kläger noch Rechtsanwalt A Kenntnis von der kurz zuvor erfolgten Berufungsrücknahme. Gleiches gilt, als Rechtsanwalt A am 10.3. den die volle Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 VV auslösenden Berufungszurückweisungsantrag eingereicht hatte.

Allerdings war es zu diesem Zeitpunkt nicht noch notwendig, einen Berufungszurückweisungsantrag zu stellen, weil der Beklagte weder zu diesem Zeitpunkt noch später seine Berufung begründet hatte und auch keinen Sachantrag gestellt hatte. Infolge der Berufungsrücknahme war auch zu einem späteren Zeitpunkt das Einreichen eines Schriftsatzes mit dem Berufungszurückweisungsantrag nicht notwendig. Ein Zurückweisungsantrag in dieser Situation kann sich nicht mit dem – hier gar nicht gestellten/eingereichten – Berufungsantrag und der Begründung auseinandersetzen und das Verfahren mit einem entsprechenden Gegenantrag fördern.[4]

[2] BAG AGS 2024, 69 [Hansens], in diesem Heft.
[3] S. BAG AGS 2024, 69 [Hansens], in diesem Heft; BGH AGS 2003, 219 = BRAGOreport 2003, 53 [Hansens].
[4] BGH AGS 2009, 143 = RVGreport 2009, 74 [Hansens]; BGH AGS 2003, 255 = BRAGOreport 2003, 74 [Hansens] für die Revision.

2. Erstattungsfähige Verfahrensgebühr

In Anwendung dieser Grundsätze ist lediglich die ermäßigte Verfahrensgebühr nach Abs. 1 Nr. 1 der Anm. zu Nr. 3201 VV mit einem Gebührensatz von 1,1 erstattungsfähig.

Für den Kostenantrag ist Rechtsanwalt A keine 1,6-Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 VV nach dem Kostenwert entstanden. Diese Tätigkeit gehört nämlich gem. § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 9 RVG zum Rechtszug der Berufungsinstanz und wird durch die dort verdiente Verfahrensgebühr abgegolten. I.Ü. wäre der Kostenantr...

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