I. Fragen
1. Ausgangsfall
Rechtsanwalt A hat für den Kläger ein seiner Zahlungsklage i.H.v. 20.000,00 EUR stattgebendes Urteil erwirkt. Hiergegen hat der durch seinen Prozessbevollmächtigten vertretene Beklagte am 20.2. rechtzeitig Berufung eingelegt, ohne einen Antrag zu stellen. Die Berufungsschrift wird Rechtsanwalt A am 1.3. zugestellt. Am 8.3. beauftragt der Kläger Rechtsanwalt A, ihn auch im Berufungsverfahren zu vertreten. Am 10.3. reicht Rechtsanwalt A über das beA beim Berufungsgericht einen auf denselben Tag datierten Schriftsatz ein, in dem er die Zurückweisung der Berufung beantragt. Eine Abschrift dieses Schriftsatzes übersendet Rechtsanwalt A seinem Mandanten per Brief. Bereits am 5.3. hatte der Beklagte mit seinem beim Berufungsgericht am selben Tage eingegangenen Schriftsatz seine Berufung wieder zurückgenommen, wovon zu diesem Zeitpunkt weder der Kläger noch Rechtsanwalt A Kenntnis hatte. Das Berufungsgericht übersendet dem Klägervertreter am 12.3. eine Abschrift des Berufungsrücknahmeschriftsatzes, sodass Rechtsanwalt A dadurch erstmals von der Berufungsrücknahme erfährt. Hieraufhin beantragt Rechtsanwalt A, dem Beklagten die Kosten des Berufungsverfahrens aufzuerlegen. Das Berufungsgericht erlegt dem Beklagten gem. § 516 Abs. 3 S. 1 ZPO die Kosten des Berufungsverfahrens auf.
Welche Gebühren und Auslagen sind dem Prozessbevollmächtigten des Klägers Rechtsanwalt A im Berufungsverfahren entstanden?
Welche Kosten kann sein Mandant vom Beklagten erstattet verlangen?
2. Abwandlung
Im Ausgangsfall hat der Beklagte wieder gegen das erstinstanzliche Urteil am 20.2. rechtzeitig Berufung eingelegt. Rechtsanwalt A hat mit Schriftsatz v. 10.3. deren Zurückweisung beantragt. Nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist begründet der Beklagtenvertreter die Berufung und beantragt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist. Hiervon wird Rechtsanwalt A vom Berufungsgericht unterrichtet. Er reicht jedoch keinen weiteren Schriftsatz ein. Das Berufungsgericht weist den Wiedereinsetzungsantrag des Beklagten zurück und verwirft auf dessen Kosten die Berufung als unzulässig.
Welche Anwaltskosten kann der Kläger nunmehr erstattet verlangen?
II. Lösungen
1. Lösung zum Ausgangsfall
I. Angefallene Gebühren und Auslagen
Die Entgegennahme der Berufungsschrift gehört gem. § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 9 RVG zum (ersten) Rechtszug und wird durch die in der ersten Instanz verdiente Verfahrensgebühr abgegolten.
Rechtsanwalt A ist jedoch auch darüber hinaus tätig geworden. Er hat – was als zur sachgemäßen Bearbeitung des Berufungsmandats gehörend unterstellt werden kann – nach Erhalt der Berufungsschrift geprüft, was für den Kläger zu veranlassen ist und hat den ferner den Berufungszurückweisungsantrag enthaltenden Schriftsatz v. 10.3. beim Berufungsgericht eingereicht. Damit hat Rechtsanwalt A gem. Vorbem. 3 Abs. 2 VV das Geschäft im Berufungsrechtszug betrieben und die 1,6-Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 VV ausgelöst.
Ferner kann Rechtsanwalt A die Postentgeltpauschale nach Nr. 7002 VV abrechnen, weil ihm durch Übersendung einer Abschrift seines Schriftsatzes v. 10.3. an den Kläger ein Postentgelt i.S.d. Nr. 7001 VV entstanden ist.
Außerdem steht Rechtsanwalt A nach Nr. 7008 VV ein Anspruch auf die Umsatzsteuer zu.
II. Gegenstandswert
Gem. § 23 Abs. 1 S. 1 RVG bestimmt sich der Gegenstandswert nach den für die Gerichtsgebühren maßgebenden Streitwertvorschriften. Nach dem somit anwendbaren § 47 Abs. 1 S. 2 GKG bestimmt sich der Streitwert nach der Beschwer des Beklagten, weil das Berufungsverfahren infolge der Berufungsrücknahme geendet hatte, ohne dass der Beklagte einen Antrag eingereicht hat. Der Beklagte war durch das erstinstanzliche Urteil, das ihm zur Zahlung von 20.000,00 EUR verurteilt hatte, beschwert. Dieser Betrag ist damit als Gegenstandswert anzusetzen.
III. Vergütung des Prozessbevollmächtigten des Klägers
Somit ist Rechtsanwalt A folgende Vergütung angefallen:
1. |
1,6-Verfahrensgebühr, Nr. 3200 VV |
1.315,20 EUR |
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(Wert: 20.000,00 EUR) |
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2. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
20,00 EUR |
3. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
253,69 EUR |
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Gesamt |
1.588,89 EUR |
IV. Erstattungsfähige Kosten
1. Grundsätze
Grds. sind die dem Rechtsanwalt der obsiegenden Partei angefallenen gesetzlichen Gebühren und Auslagen gem. § 91 Abs. 2 S. 1 Hs. 1 ZPO kraft Gesetzes erstattungsfähig. Diese Vorschrift hindert jedoch nicht die Prüfung im Kostenfestsetzungsverfahren, ob die einzelne Maßnahme des Prozessbevollmächtigten der obsiegenden Partei zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war. Dies beurteilt sich aus der "verobjektivierten" ex-ante-Sicht des Klägers. Es ist also zu prüfen, wie sich eine vernünftige, das Gebot der Kostenschonung beachtende, Partei in der Lage des Klägers verhalten hätte. Eine solche verständige Partei hätte nach Zustellung der Berufungsschrift – wie es hier auch der Kläger getan hat – einen Rechtsanwalt mit der Vertretung im Berufungsverfahren beauftragt. Dem steht nicht entgegen, dass zu dem Zeitpunkt, als der Kläger am 8.3. Rechtsanwalt A mit seiner Vertretung im Berufungsverfahren beauftragt hatte, infolge der am 5.3. wirk...