Nr. 4142 VV RVG; § 465 Abs. 2 StPO

Leitsatz

  1. Entscheidend für die Berechnung des Gegenstandswertes für die Nr. 4142 VV ist nicht, in welcher Höhe die Staatsanwaltschaft am Ende der Beweisaufnahme eine Einziehung für gerechtfertigt hält, sondern vielmehr, welcher Betrag durch die Anklageerhebung zum Verfahrensgegenstand gemacht wird.
  2. Zur Anwendung des § 465 Abs. 2 StPO in erstinstanzlichen Verfahren.

LG Braunschweig, Beschl. v. 14.12.2023 – 8 Qs 326/23

I. Sachverhalt

Gegen den Angeklagten war ein Verfahren wegen gewerbsmäßigen Handeltreibens mit neuen psychoaktiven Stoffen anhängig. Deswegen hat die Staatsanwaltschaft beim AG Anklage erhoben. Sie hat dem Angeklagten vorgeworfen, in der Zeit von September 2018 bis April 2019 für einen gesondert Verfolgten PP: als sog. "Umverpacker" für synthetische Cannabinoide tätig gewesen zu sein. Der Angeklagte soll anfangs täglich 10 bis 20 und später bis zu 80 Bestellungen bearbeitet und an nicht mehr zu ermittelnde Abnehmer versandt haben. Der Angeklagte habe für seine Tätigkeit 0,25 EUR pro verpackter Bestellung sowie anfangs eine Grundentlohnung i.H.v. 1.000,00 EUR monatlich, später 1.900,00 EUR monatlich erhalten. Insgesamt habe der Angeklagte 39.282,00 EUR erhalten.

In der Anklageschrift v. 22.11.2022 wird hinsichtlich einer etwaigen Einziehung ausgeführt: "… wobei die sichergestellten, die Tat betreffenden Gegenstände und das sichergestellte Dealgeld der Einziehung unterliegen und hinsichtlich des durch die Tat erlangten Geldbetrages die Einziehung des Wertersatzes anzuordnen ist." In der Anklageschrift sind 350 Gegenstände als Überführungs- und Einziehungsgegenstände bezeichnet, darunter insbesondere 3.950,00 EUR Bargeld, 2 Laptops, 3 Tablets der Firmen Samsung und Apple sowie 5 iPhones.

Der Angeklagte hat in der Hauptverhandlung vor dem AG auf die Rückgabe der vorgenannten Gegenstände verzichtet. Der Verzicht wurde durch den Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft angenommen. Ferner beantragte der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft in der mündlichen Verhandlung lediglich noch die Einziehung eines Betrages i.H.v. 3.950,00 EUR.

Das AG hat den Angeklagten wegen der ihm zur Last gelegten Tat zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Daneben hat es die Einziehung der Bargeldsumme i.H.v. 3.950,00 EUR angeordnet und dem Angeklagten sowohl die Kosten des Verfahrens als auch dessen notwendige Auslagen vollständig auferlegt. In der schriftlichen Urteilsbegründung hat das AG ausgeführt, dass die Kostenentscheidung auf § 465 Abs. 1 StPO beruhe und sich daraus ergebe, dass der Angeklagte verurteilt worden sei. Zur Einziehung wird ausgeführt, dass die Einziehung des Bargeldes gem. § 73 Abs. 1 StGB anzuordnen gewesen sei, es komme nicht darauf an, ob der Angeklagte die Summe als Entlohnung, zum Ausgleich oder aber als Vorschuss für Spesen erhalten habe.

Der Angeklagte hat gegen die Kostenentscheidung sofortigen Beschwerde eingelegt. Nach seiner Auffassung sind die auf die Nichteinziehung entfallenden Kosten sowie die notwendigen Auslagen des Angeklagten im Hinblick auf die erreichte Nichteinziehung gem. § 465 Abs. 2 StPO analog der Staatskasse aufzuerlegen seien. Die Verteidigergebühr sei anhand eines Verfahrenswertes von 39.282,00 EUR zu bestimmen, da mit der Anklageschrift die Einziehung dieses Betrages beantragt worden sei. Im Hinblick auf den deutlich geringeren Einziehungsbetrag sei die Verteidigung in diesem Punkt zu 9/10 erfolgreich gewesen. Das Rechtsmittel hatte Erfolg. Das LG hat die Kostenentscheidung des AG dahin abgeändert, dass "die Staatskasse 9/10 der im erstinstanzlichen Verfahren hinsichtlich der Einziehung entstandenen Auslagen und insoweit auch der notwendigen Auslagen des Angeklagten zu tragen hat".

II. Berücksichtigung des Teilerfolgs der Verteidigung

Die Beschwerde war nach Ansicht des LG begründet, da bei der Kostentscheidung entgegen § 465 Abs. 2 StPO analog der Teilerfolg der Verteidigung hinsichtlich des ursprünglich verfahrensgegenständlichen Einziehungsbetrages durch das AG nicht berücksichtigt worden ist.

1. Gegenstandswert

Zunächst stellt das LG fest, dass entgegen der von der Staatsanwaltschaft in der Beschwerdeerwiderung vertretenen Auffassung ein potentieller Einziehungsbetrag von 39.282,00 EUR verfahrensgegenständlich geworden sei. Entscheidend für die Berechnung sei nicht, in welcher Höhe die Staatsanwaltschaft am Ende der Beweisaufnahme eine Einziehung für gerechtfertigt halte, sondern vielmehr, welcher Betrag durch die Anklageerhebung zum Verfahrensgegenstand gemacht werde. Der Gegenstandswert bestimme sich dabei nach dem objektiven Gegenstandswert, maßgeblich folglich nach dem Nominalwert einer titulierten Einziehungsforderung (Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG, 26. Aufl., 2023, VV 4142 Rn 19). Aus der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft ergebe sich hier unzweifelhaft, dass die Anordnung der Einziehung des ,,durch die Tat erlangten Geldbetrages“ sowie der die Tat betreffenden Gegenstände als auch des "Dealgelds" beabsichtigt werde. Schon aus der Formulierung ("Dealgeld" einerseits, erlangter Geldbetrag andererseits) ergebe sic...

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