Die Geschichte vom Zauberlehrling oder: Wie man anwaltliche Gebühren in Luft auflösen kann
Die Chaos-Theorie besagt, dass das Flügelschlagen eines Schmetterlings am einen Ende der Welt am anderen Ende einen Orkan auszulösen vermag. Spätestens die Entscheidung des BGH vom 22.1.2008 und die von ihr verursachten Einschüsse in unsere Rechtskultur (verschärft durch Nachladungen von Oberlandesgerichten) belegen die Richtigkeit der vorgenannten Theorie.
Nicht nur in der Realwirtschaft, auch in der Justiz ist buchstäblich das Chaos ausgebrochen.
Das Bedauern einiger Advokaten über geringfügige Zinsverluste bei der früheren und bewährten Handhabung der Anrechnungsregeln in Bezug auf die Geschäftsgebühr führt in der Praxis inzwischen dazu, dass im wahrsten Sinne des Wortes kein Stein auf dem anderen bleibt und dass sich jeder Rechtspfleger als eine Art David Copperfield für PKH-Anwälte gerieren darf.
Nachdem der BGH auf die schon bedenkliche Entscheidung vom 7.2.2007 am 22.1.2008 buchstäblich noch aufgesattelt hatte, begannen findige Rechtspfleger – und ihnen bald folgend einige OLG –, sich an der Sanierung der Länderhaushalte zu versuchen.
In zugegeben konsequenter Anwendung der neuen BGH-Rechtsprechung verfiel man auf die Idee, auch PKH-Verfahrensgebühren zur Hälfte verschwinden zu lassen, wenn eine außergerichtliche Tätigkeit des "Armenanwalts" auch nur erkennbar war.
Es war dem OLG Düsseldorf und dem dortigen 10. Senat vergönnt, die Unsinnigkeit dieser BGH-Rechtsprechung und einiger OLGe wie beispielsweise Oldenburg noch einmal plakativ aufzuzeigen.
So vertritt das OLG Düsseldorf ernsthaft die Auffassung, wer als Rechtsanwalt einer armen Partei unvorsichtigerweise außergerichtlich Unterstützung angedeihen lasse, ohne die wunderbaren Gebühren der Beratungshilfe in Rechnung zu stellen, der müsse mit einer um 0,65 reduzierten PKH-Verfahrensgebühr für dieses – weitere – Sonderopfer bestraft werden.
Kassiert der Rechtsanwalt hingegen die großzügige Beratungshilfegebühr von sage und schreibe 70,00 EUR, so reduziert sich die PKH-Verfahrensgebühr nur "um 35 EUR, während man vom möglicherweise erstattungspflichtigen Gegner die volle Geschäftsgebühr (ohne Anrechnung?) kassieren kann" (anders ist der Verweis auf § 9 BerHG ja wohl nicht zu verstehen). Ähnlich skurril ist der Umgang mit § 58 RVG.
Obgleich in dieser Vorschrift mit erfrischender Deutlichkeit nachzulesen ist, dass evtl. Zahlungen der "armen Partei" zunächst auf die Differenz zu den Wahlanwaltsgebühren zu verbuchen sind, soll der Gedankengang des Gesetzes bei der Geschäftsgebühr insbesondere bzw. jedenfalls dann keine Rolle spielen, wenn die Geschäftsgebühr – noch – nicht gezahlt worden ist.
Im Klartext bedeutet dies nach Auffassung des OLG Düsseldorf, dass eine gezahlte Geschäftsgebühr in der Regel nicht zur Reduzierung der PKH-Verfahrensgebühr führt (eine andere Beurteilung würde dann allerdings auch in der Tat § 58 RVG widersprechen), während die nicht gezahlte Geschäftsgebühr auf wunderbare Weise die Verfahrensgebühr reduziert und zwar zugunsten der Staatskasse, die für die außergerichtliche Tätigkeit bei dieser Fallgestaltung nicht 1 Cent gezahlt hat.
Jura-Studenten werden solche Zaubertricks im Zivilrecht als ungerechtfertigte Bereicherung nahegebracht.
In der bundesdeutschen Rechtswirklichkeit des Jahres 2009 wird man unwillkürlich an Goethes Geister erinnert, die ein anwaltlicher Zauberlehrling rief und die man nun nicht wieder los wird, es sei denn ... es sei denn, der Gesetzgeber findet bald nun doch noch eine Flasche, in der er diese unsäglichen Plagegeister – endlich – wieder verschwinden lässt.
Das wäre dann eine Zauberei, der man auch wieder applaudieren könnte.
Herbert P. Schons