RVG §§ 55, 56; RVG VV Vorbem. 3 Abs. 4, Nrn. 2300, 2500 ff.

Leitsatz

1.  Eine anzurechnende Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV ist auch bei einem später im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Anwalt nach Vorbem. 3 Abs. 4 VV uneingeschränkt auf die gerichtliche Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV, § 49 RVG anzurechnen.

2.  Eine Anrechnung setzt allerdings voraus, dass ein Anrechnungsfall der Vorbem. 3 Abs. 4 VV vorliegt, mithin eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV angefallen ist, was im Bereich der Beratungshilfe ausgeschlossen ist.

3.  Durch die Anrechnung reduziert sich die nach § 49 RVG zu bemessene Verfahrensgebühr nicht um den hälftigen Betrag der nach § 13 RVG berechneten Geschäftsgebühr, sondern um den hälftigen Gebührensatz der Geschäftsgebühr.

OLG Düsseldorf, Beschl. v. 27.11.2008 – I-10 W 109/08

1 Sachverhalt

Die Beschwerde der Landeskasse richtet sich gegen den Beschl. des LG – Einzelrichter – vom 1.9.2008 durch den die Erinnerung des Bezirksrevisors gegen einen landgerichtlichen Beschluss zurückgewiesen wurde. Hierin war die für die erste Instanz aus der Landeskasse zu zahlende Vergütung für den Antragsteller – bis auf 4,00 EUR für Auslagen – antragsgemäß mit EUR 1.049,80 festgesetzt worden. Prozesskostenhilfe war der von dem Antragsteller vertretenen Partei für die hier fragliche erste Instanz erst nachträglich, mit Beschl. v. 22.2.2008 bewilligt worden.

Mit ihrer Beschwerde macht die Landeskasse geltend, auf die u.a. in Höhe von 460,20 EUR ohne Mehrwertsteuer berücksichtigte 1,3-Verfahrensgebühr müsse sich der Antragsteller eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV hälftig anrechnen lassen; diese sei hier für die Fertigung des vorgerichtlichen Anspruchsabwehrschreibens vom 26.1.2008 angefallen und mit der Regelgebühr in Höhe von 1,3 anzusetzen.

2 Aus den Gründen

Die Beschwerde der Landeskasse ist gem. §§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 3 RVG zulässig und begründet; sie führt zur Abänderung des angefochtenen Beschlusses in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang. Zu Recht rügt die Landeskasse die unterbliebene Anrechnung der außergerichtlichen Geschäftsgebühr auf die gerichtliche Verfahrensgebühr.

1.  Der BGH hat bereits in seinen Urteilen vom 7.3.2007 – VIII ZR 86/06 (Rpfleger 2007, 505) und 11.7.2007 – VIII ZR 310/06 (AGS 2008, 41) ausgeführt, dass – sofern nach Vorbem. 3 Abs. 4 eine wegen desselben Gegenstandes entstandene Geschäftsgebühr anteilig auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens anzurechnen ist – sich nicht die bereits entstandene Geschäftsgebühr vermindert, sondern die in dem anschließenden gerichtlichen Verfahren ebenfalls anfallende Verfahrensgebühr. Mit Beschl. v. 22.1.2008 – VIII ZB 57/07 (Rpfleger 2008, 332 = MDR 2008, 592 = AGS 2008, 158) hat der BGH seine Rechtssprechung dahingehend präzisiert, dass die Verfahrensgebühr gem. Nr. 3100 VV wegen der in Vorbem. 3 Abs. 4 vorgesehenen Anrechnung eines Teils der bereits vorher entstandenen Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV von vornherein nur in gekürzter Höhe entsteht. Daher kommt nach Auffassung des BGH im Kostenfestsetzungsverfahren nach §§ 104 f. ZPO keine darüber hinausgehende Erstattung in Betracht. Ob die vom Prozessgegner auf materiell-rechtlicher Grundlage zu erstattende Geschäftsgebühr unstreitig, geltend gemacht, tituliert oder sogar schon beglichen ist, ist vielmehr ohne Bedeutung. Dieser Rechtsauffassung hat sich der Senat mit Beschl. v. 2.10.2008 – I-10 W 58/08 angeschlossen.

2.  Die Frage, ob diese Grundsätze auch auf das Vergütungsfestsetzungsverfahren nach § 55 RVG anzuwenden sind, stellt sich nur dort, wo ein Anrechnungsfall der Vorbem. 3 Abs. 4 VV vorliegt, mithin eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV anfällt. Dies ist unter den gegebenen Umständen des Falles anzunehmen.

Der Anfall einer Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV ist ausgeschlossen im Bereich der Beratungshilfe. Wenn die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen, unter denen Prozesskostenhilfe zu gewähren ist, bereits zum Zeitpunkt der vorprozessualen Tätigkeit vorgelegen haben, hatte der Mandant einen Anspruch auf Beratungshilfe, § 1 Abs. 2 BerHG. Ihm wäre auf Antrag ein Beratungshilfeschein auszustellen gewesen. Es wäre lediglich eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2503 VV in Höhe von 70,00 EUR angefallen, die im Innenverhältnis (im Verhältnis zum Gegner gilt § 9 BerHG) hälftig auf die Gebühren eines nachfolgenden gerichtlichen Verfahrens anzurechnen gewesen wären (vgl. Abs. 2). Ein Anwalt ist – sofern er Anhaltspunkte dafür hat, dass der Rechtsuchende zum Kreis der nach dem BerHG Berechtigten gehört – verpflichtet, auf die Möglichkeit der Beratungshilfe hinzuweisen (vgl. Gerold/Schmidt-Madert, RVG, 18. Aufl., § 44 Rn 3 f.). Unterlässt er den gebotenen Hinweis und wird ohne Beratungshilfeschein tätig, so steht ihm lediglich die Gebühr des Nr. 2500 VV in Höhe von 10,00 EUR zu (OLG Oldenburg, Beschl. v. 23.6.2008–5 W 34/08), die nur der Mandant schuldet und die nicht anzurechnen ist. Die aus der Staatkasse zu erstattenden Gebühren nach Nrn. 2501 bis 2508 VV setzen die Erteilung eines Beratungshilfescheines...

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