ARB 75 § 14 (3) S. 1; [ARB 94 § 4 (1) S. 1 c]
Leitsatz
1. Die Festlegung eines verstoßabhängigen Rechtsschutzfalles i.S.v. § 14 (3) S. 1 ARB 75 (entsprechend für § 4 (1) S. 1 c ARB 94) richtet sich allein nach den vom Versicherungsnehmer behaupteten Pflichtverletzungen.
2. Dieses Vorbringen muss (erstens) einen objektiven Tatsachenkern – im Gegensatz zu einem bloßen Werturteil – enthalten, mit dem er (zweitens) den Vorwurf eines Rechtsverstoßes verbindet, der den Keim für eine rechtliche Auseinandersetzung enthält und worauf er (drittens) seine Interessenverfolgung stützt.
3. Auf die Schlüssigkeit, Substanziiertheit und Entscheidungserheblichkeit dieser Behauptungen kommt es nicht an.
4. Nach diesen Grundsätzen kann die Androhung einer betriebsbedingten Kündigung, wenn ein unterbreitetes Angebot zum Abschluss eines Aufhebungsvertrages abgelehnt wird, einen Rechtsschutzfall auslösen.
BGH, Urt. v. 19.11.2008 – IV ZR 305/07
1 Sachverhalt
Der Kläger begehrt aus einer bei der Beklagten gehaltenen Rechtsschutzversicherung Erstattung von 816,41 EUR gezahlter Rechtsanwaltskosten. Dem Vertrag liegen "Allgemeine Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung" (ARB) zugrunde, die – soweit hier von Bedeutung – den ARB 75 entsprechen (abgedruckt bei Prölss/Martin, VVG, 27. Aufl., S. 2025 ff.). Versichert ist Familien- und Verkehrs-Rechtsschutz für Nichtselbständige, der nach § 26 (5) c) ARB "die Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus Arbeitsverhältnissen" umfasst.
Anfang 2006 teilte die Arbeitgeberin, bei der der Kläger in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis steht, ihm mit, dass sein Arbeitsplatz im Rahmen eines Restrukturierungsprogrammes gestrichen und ihm gekündigt werde, wenn er nicht den ihm angebotenen Aufhebungsvertrag annehme. Im Fall einer Kündigung werde es für ihn – anders als bei der Annahme des Aufhebungsvertrages – keine Abfindung geben. Auf Nachfrage erklärte die Personalabteilung, dass eine Sozialauswahl stattgefunden habe, nähere Angaben hierzu aber – weil "interne Personaldaten" – nicht gemacht werden könnten.
Die danach vom Kläger beauftragten Rechtsanwälte nahmen gegenüber seiner Arbeitgeberin zu den geplanten Maßnahmen Stellung. Ferner baten sie die Beklagte um Erteilung einer Deckungszusage. Darin heißt es unter anderem:
"... wurde von der Arbeitgeberin massiv aufgefordert, eine Aufhebungsvereinbarung zu unterzeichnen. Eine derartige Vorgehensweise verstößt gegen die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers und stellt damit eine Vertragsverletzung dar. Ansonsten wurde dem Mandanten eine Kündigung in Aussicht gestellt, die ihrerseits ebenfalls rechtswidrig wäre. ..."
Im März 2006 wurde der Kläger in den Betriebsrat gewählt; eine Kündigung erfolgte nicht mehr.
Die Beklagte lehnte den begehrten Versicherungsschutz ab. Ein Versicherungsfall sei in Ermangelung eines Verstoßes gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften nicht eingetreten. Das bloße Inaussichtstellen einer Kündigung begründe – als reine Absichtserklärung, im Gegensatz zu einer unberechtigt erklärten Kündigung – noch keine Veränderung der Rechtsposition des Klägers. Das Aufhebungsangebot habe sich im Rahmen der Privatautonomie bewegt.
Das AG hat der Klage stattgegeben, das Berufungsgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Revision, die keinen Erfolg hatte.
2 Aus den Gründen
I. Nach Auffassung des Berufungsgerichts liegt bereits in der Androhung einer betriebsbedingten Kündigung ein Rechtsverstoß i.S.v. § 14 (3) S. 1 ARB. Damit sei der Versicherungsfall eingetreten. Mit der Erklärung des Arbeitgebers, an seiner vertraglich übernommenen Beschäftigungspflicht nicht mehr festzuhalten, sei die Rechtsschutz auslösende Pflichtverletzung – unabhängig davon, ob die in Aussicht gestellte Kündigung rechtmäßig wäre – begangen und beginne die sich vom Rechtsschutzversicherer übernommene Gefahr zu verwirklichen. Eine spätere Kündigung bzw. ein sich hieran anschließender Rechtsstreit sei kein versicherbares ungewisses Ereignis mehr. Schon die Androhung einer solchen Kündigung beeinträchtige die Rechtsposition des Versicherungsnehmers; ihr (späterer) Ausspruch sei dann nur noch eine rein formale Umsetzung einer bereits getroffenen Entscheidung.
Als weitere Pflichtverletzung sei die von der Arbeitgeberin dem Kläger trotz Aufforderung verweigerte Darlegung der Sozialauswahl zu werten. Die Arbeitgeberin erzwinge so eine Entscheidung betreffend den Bestand des Arbeitsverhältnisses, ohne ihm eine sachgerechte Abwägung der damit verbundenen Chancen und Risiken zu ermöglichen.
Das hält rechtlicher Nachprüfung im Ergebnis stand.
II. Die Beklagte ist aus der zwischen den Parteien bestehenden Rechtsschutzversicherung nach §§ 1 (1) S. 1, 2 a) ARB verpflichtet, dem Kläger Versicherungsschutz zu gewähren und ihm die geltend gemachten Anwaltskosten zu erstatten. Der von der Beklagten dagegen allein erhobene Einwand, es fehle an dem Eintritt eines Versicherungsfalles, greift nicht durch. Der Rechtsschutzfall ist nach dem insoweit ausschließlich maßgeblichen Klägervortrag zu dem Vorgehen seiner Arbeitg...