GG Art. 3 Abs. 1; GKG § 48 Abs. 2 S. 1, Abs. 3 S. 1, 2; ZPO § 630; RVG §§ 45 Abs. 1, 49
Es ist verfassungswidrig, von der Bewertung des Einkommens in Ehesachen alleine deshalb abzuweichen, weil beiden Parteien ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist.
BVerfG, Beschl. v. 17.12.2008–1 BvR 177/08
Aus den Gründen
I. Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Streitwertfestsetzung in einer Ehesache, in der beiden Parteien Prozesskostenhilfe bewilligt wurde.
1. Der Beschwerdeführer ist Rechtsanwalt. In einem Ehescheidungsverfahren, in dem beiden Parteien Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlungsverpflichtung bewilligt worden war, wurde er der Ehefrau beigeordnet.
2. Ausgehend von dem monatlichen Nettogehalt der Parteien des Scheidungsverfahrens in Höhe von insgesamt 2.840,00 EUR setzte das AG den Streitwert für die – einverständliche – Ehescheidung gem. § 48 Abs. 2, Abs. 3 S. 1 GKG auf 8.520,00 EUR fest. Gegen diese Wertfestsetzung erhob der Bezirksrevisor namens der Landeskasse mit der Begründung Beschwerde, unter Berücksichtigung von Umfang und Bedeutung der Sache sei der Streitwert auf lediglich 2.000,00 EUR festzusetzen.
In dem hierauf ergangenen Nichtabhilfebeschluss führte das AG aus, gem. § 48 GKG sei das dreifache Nettomonatseinkommen der Eheleute Ausgangspunkt der Wertbemessung. Hiernach sei vorliegend auch unter Berücksichtigung des Vermögens der Eheleute, des – wie üblich – geringen Umfangs des Verfahrens sowie der grundsätzlich erheblichen Bedeutung der Ehescheidung ein Streitwert von 8.520,00 EUR anzusetzen. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe dürfe aus verfassungsrechtlichen Gründen keinen Einfluss auf die Bemessung des Streitwerts haben.
Das OLG änderte die Festsetzung des Streitwerts für das Ehescheidungsverfahren in der Folge auf 2.500,00 EUR ab. Nach der ständigen Rspr. des Senats sei bei einverständlichen Scheidungen der Mindeststreitwert von 2.000,00 EUR anzusetzen, wenn nicht insbesondere Umfang und Bedeutung der Sache sowie die Vermögens- und Einkommensverhältnisse der Parteien eine abweichende Ermessensausübung rechtfertigten. Vorliegend sei der Streitwert des Scheidungsverfahrens wegen des geringen Umfangs der Sache, der nur durchschnittlichen Bedeutung der Ehescheidung und der ebenfalls lediglich durchschnittlichen Einkommens- und Vermögenssituation der Parteien des Scheidungsverfahrens auf 2.500,00 EUR festzusetzen.
3. Der Beschwerdeführer rügt im Wesentlichen die Verletzung des Art. 12 Abs. 1 sowie des Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Bedeutung als Willkürverbot.
Die Streitwertbemessung des OLG greife wegen der hieraus resultierenden Gebührenreduzierung unverhältnismäßig in seine Berufsfreiheit ein. Entgegen den Vorgaben des Gesetzes, das die Einkommensverhältnisse als Ausgangspunkt für die Festsetzung des Streitwerts vorsehe und diesen eine besondere Bedeutung beimesse, lasse das OLG die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Parteien bei der Streitwertfestsetzung unberücksichtigt. Die Festsetzung eines Streitwerts, der mit 2.500,00 EUR nur knapp über dem Mindeststreitwert liege, sei unter den gegebenen Umständen nicht nachvollziehbar und willkürlich. Das OLG versuche „mit der Brechstange“ den Streitwert zur Schonung der Staatskasse so niedrig wie möglich zu drücken, ohne sich erneut gegenüber dem BVerfG angreifbar zu machen.
4. Das Niedersächsische Justizministerium und die Parteien des Ausgangsverfahrens hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.
II. Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 3 Abs. 1 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchst. b) BVerfGG). Auch die weiteren Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 S. 1 BVerfGG liegen vor. Das BVerfG hat die für die Entscheidung maßgeblichen Fragen bereits entschieden (vgl. BVerfGE 89, 1 <13 f.>; 96, 189 <203>). Die Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet.
1. Die Streitwertfestsetzung durch das OLG verletzt das aus Art. 3 Abs. 1 GG folgende Willkürverbot.
Willkürlich ist ein Richterspruch nach ständiger Rspr. des BVerfG dann, wenn er unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwägungen beruht. Das ist anhand objektiver Kriterien festzustellen. Schuldhaftes Handeln des Richters ist nicht erforderlich. Fehlerhafte Rechtsanwendung allein macht eine Gerichtsentscheidung nicht willkürlich. Willkür liegt vielmehr erst dann vor, wenn eine offensichtlich einschlägige Norm nicht berücksichtigt, der Inhalt einer Norm in krasser Weise missverstanden oder sonst in nicht mehr nachvollziehbarer Weise angewendet wird (vgl. BVerfGE 89, 1 <13 f.>; 96, 189 <203>).
Dies ist vorliegend der Fall. Zwar geht das OLG mit dem Gesetzeswortlaut zunächst formal davon aus, dass bei der Streitwertfestsetzung nach § 48 Abs. 2 S. 1 GKG neben den Vermögens- und Einkommensverhältnissen alle Umstände des Einzelfalls, insbesondere der Umfang und die Bedeutung der Sache bei der Bestimmung des Strei...