RVG § 48
Leitsatz
(Vor-)Verfahrens- und Grundgebühr entstehen bereits dann mehrfach, wenn ursprünglich getrennte Ermittlungsverfahren bereits vor Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft verbunden werden. Es kommt allein darauf an, in welchem Verfahrenszeitpunkt der Verteidiger sich gemeldet hat und tätig geworden ist.
AG Berlin-Tiergarten, Beschl. v. 7.8.2009 – (420) 81 Js 2862/08 Ls (1/09)
Aus den Gründen
Auf den Kostenfestsetzungsantrag des (beigeordneten) Verteidigers hatte die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle die Kosten auf insgesamt 1.063,44 EUR festgesetzt und diesen Betrag zur Zahlung angewiesen. Dabei hat sie im Wesentlichen eine Grund- und Verfahrensgebühr nebst diesbezüglicher Post- und Telekommunikationspauschale und anteiliger Umsatzsteuer von den beantragten Gebühren abgesetzt und dies damit begründet, dass zwei ursprünglich gesonderte Ermittlungsverfahren, in denen sich der Verteidiger jeweils gemeldet hatte, bereits vor Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft verbunden worden sind und daher insoweit (Vor-)Verfahrens- und Grundgebühr sowie Post- und Telekommunikationspauschale nur einmal anfallen würden.
Diese Auffassung ist unzutreffend.
a) Zum Verfahrensgang
In dem staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren zum ursprünglichen Aktenzeichen 13 Ju Js 1676/08 (Raubvorwurf v. 25.5.2008) hat sich der Verteidiger mit Schriftsatz v. 15.7.2008 – noch gegenüber der Polizei – gemeldet, Akteneinsicht beantragt und erklärt, dass sein Mandant zunächst keine Stellungnahme abgeben werde.
Im Ermittlungsverfahren 13 Ju Js 1686/08 (Raubvorwurf v. 26.5.2008) meldete sich der Verteidiger bereits mit Schriftsatz v. 28.5.2008, und zwar gleichfalls gegenüber der Polizei. Beide Verfahren wurden durch Verfügung der Staatsanwaltschaft v. 30.9.2008 (unter dem führenden Aktenzeichen 13 Ju Js 1686/08) verbunden. Später wurde (am 5.11.2008) durch die Staatsanwaltschaft auch das weitere Verfahren 13 Ju Js 1846/08 (wegen des Vorwurfs der Sachbeschädigung) verbunden; in jenem Verfahren hatte sich der Verteidiger bis dahin allerdings nicht gemeldet (und insoweit auch keine gesonderten Gebühren begehrt).
Unter dem 15.12.2008 erfolgte wegen der drei vorgenannten Tatvorwürfe Anklageerhebung zum AG Tiergarten, wo das Verfahren das gerichtliche Aktenzeichen 420–1/09 erhielt.
Bereits am 4.9.2008 hatte die Staatsanwaltschaft den Angeklagten (zum Aktenzeichen 81 Js 2862/08) wegen des Vorwurfs des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen in Tateinheit mit Sachbeschädigung angeklagt. In jenem Verfahren eröffnete das AG Tiergarten (420 Ds 252/08) durch Beschl. v. 20.10.2008 das Hauptverfahren und beraumte Termin zur Hauptverhandlung für den 19.12.2008 an. Mit Schriftsatz v. 21.10.2008 meldete sich der Verteidiger auch in jenem Verfahren und teilte unter anderem die beiden vorerwähnten, noch offenen Raubvorwürfe mit, so dass der gesonderte Hauptverhandlungstermin aufgehoben und jenes Verfahren schließlich am 3.3.2009 durch das AG verbunden wurde. Am selben Tag wurde nach der Verbindung der Verteidiger auf seinen Antrag als Pflichtverteidiger beigeordnet.
b) Gebührenansprüche
Dem Verteidiger stehen auch für beide später verbundene staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren (zu den früheren Aktenzeichen 13 Ju Js 1676/08 und 1686/08) die (Vor-) Verfahrens- und die Grundgebühr sowie die Post- und Telekommunikationspauschale zu.
Nach § 48 Abs. 5 S. 1 RVG steht dem im ersten Rechtszug beigeordneten Rechtsanwalt die Vergütung "auch für seine Tätigkeit vor dem Zeitpunkt seiner Bestellung" zu.
Der Gebührenanspruch des Verteidigers entsteht je "Rechtsfall", wobei als "Rechtsfall" jedes gegen den Beschuldigten geführte strafrechtliche Ermittlungsverfahren zu werten ist (vgl. LG Hamburg, Beschl. v. 5.8.2008–622 Qs 43/08 [= AGS 2008, 545]; Hartmann, KostG, 39. Aufl., Nr. 4100, 4101 VV Rn 8). Sind danach – wie hier – die Gebührenansprüche bereits entstanden, werden diese auch nicht durch eine spätere Verfahrensverbindung wieder beseitigt (vgl. OLG Jena, Beschl. v. 26.1.2004, AR (S) 101/03 [wenn auch noch unter Anwendung der BRAGO], LG Hamburg, a.a.O.)
Es kommt also entscheidend auf den Zeitpunkt an, zu welchem der Verteidiger seine Tätigkeit entfaltet. Dies war in den Ermittlungsverfahren 13 Ju Js 1676/08 und 1686/08 jeweils Wochen bzw. Monate vor der Verfahrensverbindung durch die Staatsanwaltschaft. Es waren damit auch insoweit je zweimal die Grundgebühr (Nr. 4100 VV), die Vorverfahrensgebühr (Nr. 4104 VV) und auch die Pauschale für Entgelte für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen (Nr. 7002 VV) entstanden, die nicht rückwirkend entfallen sind (vgl. auch insoweit LG Hamburg, a.a.O.).
c) Gebührenberechnung im Einzelnen
Dem Verteidiger stehen mithin folgende Gebühren- und Auslagenansprüche gegen die Landeskasse zu:
(1) ehemaliges Ermittlungsverfahren 13 Ju Js 1676/08
Grundgebühr Nr. 4100 VV |
1.320,00 EUR |
Verfahrensgebühr Nr. 4104 VV |
1.120,00 EUR |
Post-/Tel.-Pauschale Nr. 7002 VV |
200,00 EUR |
Summe insoweit: |
2.640,00 EUR |
(2) Ermittlungsverfahren 13...