ZPO § 3
Leitsatz
Bei der Bemessung des Streitwerts einer Forderung sind die Erfolgsaussichten einer etwaigen späteren Zwangsvollstreckung zu berücksichtigen.
KG, Beschl. v. 11.6.2009–4 W 26/09
Sachverhalt
Eingeklagt war eine Forderung i.H.v. 135.122,45 EUR. Das LG hatte den Streitwert auf 300,00 EUR festgesetzt. Dagegen erhob der Prozessbevollmächtigte des Klägers Beschwerde, mit der er die Heraufsetzung des Streitwertes auf 25 % des Nominalbetrages der Forderung begehrte.
Die Beschwerde hatte keinen Erfolg.
Aus den Gründen
Zutreffend hat das LG den Streitwert gem. § 3 ZPO auf 300,00 EUR festgesetzt. Die von den Prozessbevollmächtigten des Klägers zitierte Entscheidung des BGH (Beschl. v. 22.1.2009 – IX ZR 235/08 [= AGS 2009, 342]) steht dieser Festsetzung nicht entgegen. Im Leitsatz zu der zitierten Entscheidung hat der BGH ausgeführt, dass ein Abschlag von 75 % des Nennwerts der Forderung angemessen sein kann, wenn die späteren Vollstreckungsaussichten als nur gering anzusehen seien. In seiner Begründung hat der BGH ausgeführt, dass für die Höhe der Festsetzung des Streitwerts die voraussichtliche Realisierbarkeit der Forderung maßgeblich sei. Die späteren Vollstreckungsaussichten des Feststellungsklägers nach Erteilung der Restschuldbefreiung für den Schuldner müssen konkret auf den Einzelfall bezogen bewertet werden. Können diese anhand der voraussichtlichen wirtschaftlichen Lage des Schuldners auch für die Zeit nach Erteilung der Restschuld nicht als günstig angesehen werden, seien deutliche Abschläge vom Nominalwert der Deliktsforderung sachlich gerechtfertigt (BGH a.a.O.).
Diesen Maßstäben entspricht die Streitwertfestsetzung des LG. Sie beruht offensichtlich auf den aus dem Prozessstoff erkennbaren wirtschaftlichen Gegebenheiten des Schuldners. Das LG hat verfahrensfehlerfrei festgestellt, dass der Kläger über keinerlei Vermögen verfügt und lediglich die nicht konkret durch Tatsachen belegte Hoffnung habe, eines Tages wieder ein Einkommen zu haben. Der Kläger ist unstreitig 46 Jahre alt, arbeitslos und erhält seit Jahren Leistungen nach dem SGB II. Ernsthafte Anhaltspunkte für eine spätere, auch nur teilweise erfolgreiche Vollstreckung der angemeldeten Forderungen des Beklagten nach Abschluss des Insolvenzverfahrens bestehen nicht. Im Rahmen des Insolvenzverfahrens ist ebenfalls nicht mit einer Quote zu rechnen. Mithin besteht keine Veranlassung, das Feststellungsinteresse unter Berücksichtigung der Rspr. des BGH abweichend von der landgerichtlichen Wertfestsetzung zu beurteilen.
Anmerkung
Lange galt der Grundsatz, der wohl schon den Rang eines Dogmas hatte, dass der Streitwert einer Forderungsklage gleich dem bezifferten Betrag ist, und zwar unabhängig davon, ob der Kläger Aussicht hat, seinen materiellen Anspruch nach der Titulierung vollstreckungsrechtlich verwirklichen zu können. So hat dann beispielsweise auch das LG Münster noch 1960 entschieden:
"Der Streitwert der Vollstreckungsabwehrklage bemisst sich auch dann nach dem vollstreckbaren Anspruch, wenn die Forderung wegen Vermögenslosigkeit nicht beitreibbar ist und das Interesse des Abwehrklägers sich in der Befreiung von der Verpflichtung zur Leistung des Offenbarungseides erschöpft."
Der BGH hat diese Rspr. bestätigt.
Diese Bewertung wurde jedoch zunehmend aufgegeben, nachdem der BGH die zunächst vom RG übernommene rein rechtliche Betrachtungsweise im Streitwertrecht zugunsten einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise aufgegeben hatte. So wurden beispielsweise Miterbenstreitigkeiten abweichend von der Rspr. des RG auch bei Herausgabe- und Auseinandersetzungsansprüchen unter Miterben nicht mehr nach § 6 ZPO, sondern nach § 3 ZPO bewertet und wurde allein auf das wirtschaftliche Interesse des Miterben-Klägers abgestellt, also unter Abzug des diesem zustehenden Erb- oder Pflichtteilsanspruchs. Die starre Regelung des § 6 ZPO wurde durch abschwächende Auslegung dahin entschärft, dass diese Vorschrift unmittelbar nur für die Ermittlung des Zuständigkeits- und Rechtsmittelwertes gelte, für den Gebührenstreit dagegen lediglich entsprechend. Hiervon ausgehend ist bewertet worden, wenn gegenüber einem Herausgabeanspruch nur ein geringwertiges Zurückbehaltungsrecht geltend gemacht wird. Die Klage auf Löschung einer Hypothek ist nicht nach dem Nennbetrag, sondern nach der Höhe der Valutierung bewertet worden; ebenso OLG Köln für die Klage auf Bewilligung einer Sicherungshypothek. Die Klage auf Freistellung von der Inanspruchnahme aus einer Grundschuld ist nicht nach dem Nominalwert, sondern nach dem wirklichen Wert der Forderung beziffert worden. Bei der Herausgabe- oder Auflassungsklage ist der Verkehrswert unter Abzug der dinglichen Belastungen festgesetzt worden. Für die Klage auf Abtretung eines wertlosen Grundpfandrechts hat das OLG Köln nur einen Erinnerungswert angesetzt, ebenso das LG Bayreuth für die Klage auf Löschung eines Widerspruchs gegen den eingetragenen Eigentümer, wenn der Grundbucheintragung nur noch formale Bedeutung zukommt. Bei der Bewertung eine...