RVG VV Nr. 5115 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2
Leitsatz
- Für die Mitwirkung an der Erledigung des Verfahrens kann es genügen, wenn der Verteidiger seinem Mandanten rät, zu dem erhobenen Vorwurf zu schweigen, und dies der Verwaltungsbehörde mitteilt.
- Dies gilt nicht, wenn unabhängig von der Einlassung des Betroffenen offenkundig ist, dass dieser die ihm vorgeworfene Ordnungswidrigkeit nicht begangen haben kann.
BGH, Urt. v. 20.1.2011 – IX ZR 123/10
1 Sachverhalt
Die Klägerin beauftragte einen Rechtsanwalt mit ihrer Verteidigung in einem Bußgeldverfahren wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit im Straßenverkehr. Der Rechtsanwalt riet ihr im Anhörungsverfahren, zu dem Vorwurf zu schweigen, und teilte der Verwaltungsbehörde mit, die Klägerin werde sich nicht äußern. Das Bußgeldverfahren wurde anschließend eingestellt. Der Rechtsanwalt trat seine Gebührenforderung an eine Abrechnungsstelle ab. Diese stellte der Klägerin neben einer Grund- und einer Verfahrensgebühr auch eine Erledigungsgebühr nach Nr. 5115 VV in Rechnung. Die Beklagte, bei der die Klägerin eine Rechtsschutzversicherung unterhält, verweigerte die Bezahlung der Erledigungsgebühr mit der Begründung, eine solche sei nicht angefallen.
Die auf Freistellung von der Gebührenforderung der Abrechnungsstelle gerichtete Klage ist beim AG ohne Erfolg geblieben. Das Berufungsgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision.
2 Aus den Gründen
Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Der Rat des Anwalts an den Mandanten, keine Angaben zu machen, und die Mitteilung dieser Entscheidung an die Verwaltungsbehörde seien grundsätzlich als Mitwirkungshandlung i.S.d. Nr. 5115 VV geeignet, weil dadurch die Einstellung des Verfahrens gefördert werden könne. Der Anwalt beschränke sich in einem solchen Fall nicht auf eine bloße Untätigkeit. Sachliche Informationen müsse er der Behörde nicht erteilen. Da die Verwaltungsbehörde die Klägerin im Streitfall als Betroffene angehört habe, liege es nicht völlig fern, dass sie das Bußgeldverfahren weiterbetrieben hätte, wenn der Anwalt nicht tätig geworden wäre.
II. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung in einem wesentlichen Punkt nicht stand.
1. Eine Erledigungsgebühr nach Nr. 5115 VV entsteht nach Abs. 1 Nr. 1 der zugehörigen Anm., wenn das Ordnungswidrigkeitenverfahren vor der Verwaltungsbehörde durch die anwaltliche Mitwirkung endgültig eingestellt wird. Nach Abs. 2 der Anm. entsteht sie nicht, wenn eine auf Förderung des Verfahrens gerichtete Tätigkeit nicht ersichtlich ist. Mit Recht hat das Berufungsgericht die für den Anfall der Erledigungsgebühr erforderliche Mitwirkung des Anwalts an der Einstellung des Verfahrens in einem weiten Sinn verstanden.
a) Anm. Abs. 1 Nr. 1 zu Nr. 5115 VV übernimmt, wie die für das Strafverfahren gleichlautende Bestimmung der Anm. Abs. 1 Nr. 1 zu Nr. 4141 VV, den Grundgedanken der Regelung des § 84 Abs. 2 BRAGO. Diese war geschaffen worden, um Tätigkeiten des Verteidigers zu honorieren, die zu einer Vermeidung der Hauptverhandlung und damit beim Verteidiger zum Verlust der Hauptverhandlungsgebühr führten. Sie galt gem. § 105 Abs. 2 S. 3 BRAGO auch für das Ordnungswidrigkeitenverfahren. Die Neuregelung in Nr. 5115 und Nr. 4141 VV hat diesen Ansatz aufgegriffen, indem dem Rechtsanwalt in den dort genannten Fällen eine zusätzliche Gebühr in Höhe der jeweiligen Verfahrensgebühr zugebilligt wird. Die Zusatzgebühr der Nr. 5115 VV soll, wie die Vorgängerregelung, den Anreiz, Verfahren ohne Hauptverhandlung zu erledigen, erhöhen und damit zu weniger Hauptverhandlungen führen (BGH, Urt. v. 18.9.2008 – IX ZR 174/07, NJW 2009, 368 Rn 10 m.w.N. = AGS 2008, 491).
b) Mitwirkung i.S.d. Nr. 5115 VV bedeutet, wie Abs. 2 der Anm. zeigt, dass der Verteidiger durch seine Tätigkeit die endgültige Einstellung des Verfahrens zumindest gefördert haben muss. Es genügt hierfür jede Tätigkeit, die zur Förderung der Verfahrenserledigung geeignet ist. Eine besondere, nicht nur unwesentliche und gerade auf die außergerichtliche Erledigung gerichtete Tätigkeit ist nicht erforderlich (BGH, Urt. v. 18.9.2008 – IX ZR 174/07, a.a.O. Rn 11 f.).
c) Nach diesen Maßstäben kann die nach Nr. 5115 VV erforderliche Mitwirkung gegeben sein, wenn der Verteidiger seinem Mandanten im Bußgeldverfahren rät, zu dem erhobenen Vorwurf zu schweigen, und er die entsprechende Entschließung seines Mandanten der Verwaltungsbehörde mitteilt (so genanntes gezieltes Schweigen; AG Charlottenburg AGS 2007, 309, 310; Burhoff, in: Gerold/Schmidt, RVG, 19. Aufl., Nr. 5115 VV Rn 6; N. Schneider, in: AnwKomm-RVG, 5. Aufl., Nr. 5115 VV Rn 32; Bischof/Uher, RVG, 3. Aufl., Nrn. 5115-5116 VV Rn 30b; Mayer/Kroiß, RVG, 4. Aufl., Nr. 5100, 5200 VV Rn 18; Hartmann, KostG, 40. Aufl., Nr. 5115 VV Rn 1; Hartung, in: Hartung/Schons/Enders, RVG, Nr. 5115 VV Rn 9; zu § 84 Abs. 2...