I. Vertretung im Verwaltungs- oder Widerspruchsverfahren

Wird der Anwalt im Verwaltungs- oder Widerspruchsverfahren, mit der außergerichtlichen Vertretung eines Rechtsuchenden im Rahmen der Beratungshilfe beauftragt, so erhält er auch in sozialrechtlichen Angelegenheiten aus der Landeskasse eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2503 VV in Höhe von 70,00 EUR (vorbehaltlich der Erhöhung bei mehreren Auftraggebern nach Nr. 1008 VV).

Kommt es nach dem Verwaltungs- oder Widerspruchsverfahren zu einem gerichtlichen Verfahren, dann ist die Beratungshilfe-Geschäftsgebühr hälftig auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens anzurechnen (Anm. Abs. 2 zu Nr. 2503 VV).

II. Erstinstanzliches Verfahren vor dem Sozialgericht

Im erstinstanzlichen gerichtlichen Verfahren vor dem SG erhält der Anwalt eine Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 VV (40,00 EUR – 460,00 EUR; Mittelgebühr 250,00 EUR). Allerdings ist der Rahmen dieser Gebühr nach Nr. 3103 VV reduziert, wenn der Anwalt bereits im Verwaltungs- oder Widerspruchsverfahren tätig war (20,00 EUR – 320,00 EUR; Mittelgebühr 170,00 EUR). Das gilt unabhängig davon, ob der Anwalt vorgerichtlich im Rahmen der Beratungshilfe vertreten hat oder als Wahlanwalt. Nr. 3103 VV differenziert nicht danach.

In sozialrechtlichen Angelegenheiten, in denen der Anwalt außergerichtlich im Wege der Beratungshilfe tätig war, führt dies also zu einer doppelten Herabsetzung der Verfahrensgebühr. Zum einen reduziert sich der Gebührenrahmen der Verfahrensgebühr (Nr. 3103 VV). Zum anderen ist darauf noch die halbe Beratungshilfe-Geschäftsgebühr der Nr. 2503 VV anzurechnen.

Zwar erhält auch der Wahlanwalt bei Vorbefassung im Verwaltungs- oder Widerspruchsverfahren nach Nr. 3103 VV nur eine ermäßigte Gebühr. Für ihn ist jedoch keine Gebührenanrechnung vorgesehen.

Daher wird von einigen Sozialgerichten eine Anrechnung der Beratungshilfegebühr abgelehnt.[1] Nach Auffassung anderer Gerichte bestehen dagegen keine Bedenken gegen die doppelte Gebührenkürzung.[2]

Zwischenzeitlich ist die Frage dem BVerfG vorgelegt worden.[3] Es ist zu erwarten, dass das BVerfG die jetzige Regelung bzw. die Rspr., die eine doppelte Kürzung befürwortet, für verfassungswidrig erklärt. Insoweit liegt nämlich – was die Beschwerdeführer zu Recht rügen – eine Ungleichbehandlung vor, die gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt.

[1] LSG Nordrhein-Westfalen AGS 2008, 348 m. Anm. N. Schneider = NJW-Spezial 2008, 507 = RVGreport 2008, 389; SG Dresden AGS 2009, 229 = RVGreport 2009, 146 = NJW-Spezial 2009, 285; SG Augsburg AGS 2009, 396; SG Aachen, Beschl. v. 27.2.2009 – S 9 AS 42/08; SG Detmold AnwBl 2009, 312.
[2] LSG Nordrhein-Westfalen AGS 2008, 347; SG Lüneburg AGS 2009, 231; AG Fulda, Beschl. v. 3. 1. 2011 – S 3 SF 43/10 E.
[3] 1 BvR 2473/10 und 1 BvR 2474/10.

III. Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG

Zum einen ergibt sich die Ungleichbehandlung daraus, dass sich der Wahlanwalt seine Geschäftsgebühr nicht anrechnen lassen muss, während der Beratungshilfeanwalt, der ohnehin nur geringere Geschäftsgebühren erhält, diese dann auch noch anrechnen lassen muss.

Eine weitere Ungleichbehandlung folgt aber auch aus einem Vergleich der verschiedenen Konstellationen bei Beratungshilfemandaten, was folgende Beispiele verdeutlichen sollen:

 

Beispiel 1: Der Anwalt war im Widerspruchsverfahren tätig und wird anschließend im gerichtlichen Verfahren beauftragt

Der Anwalt wird von einem Rechtsuchenden beauftragt, ihn in einem sozialrechtlichen Widerspruchsverfahren zu vertreten. Hiernach kommt es zum gerichtlichen Verfahren vor dem SG, das ohne mündliche Verhandlung endet.

Für die Vertretung im Widerspruchsverfahren entsteht eine Geschäftsgebühr. Im Rechtsstreit entsteht jetzt wegen der Vorbefassung die Verfahrensgebühr der Nr. 3102 VV lediglich aus dem ermäßigten Rahmen der Nr. 3103 VV. Unter Anrechnung der hälftigen Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr ergibt sich folgende Berechnung:

I. Außergerichtliche Vertretung im Widerspruchsverfahren

 
Geschäftsgebühr, Nr. 2503 VV 70,00 EUR

II. Gerichtliche Vertretung

 
1. Verfahrensgebühr, Nrn. 3102, 3103 VV  170,00 EUR
2. gem. Anm. Abs. 2 zu Nr. 2503 VV anzurechnen -35,00 EUR
Gesamt 135,00 EUR
Gesamt I + II 205,00 EUR
 

Beispiel 2: Der Anwalt war im Widerspruchsverfahren nicht tätig, sondern ist erstmals im gerichtlichen Verfahren beauftragt worden

Der Anwalt wird in einem gerichtlichen Verfahren vor dem SG beauftragt, das ohne mündliche Verhandlung endet. Er war vorgerichtlich nicht tätig.

Jetzt entsteht mangels Vorbefassung der volle Rahmen nach Nr. 3102 VV. Abzurechnen ist wie folgt:

Gerichtliche Vertretung

 
Verfahrensgebühr, Nr. 3102 VV  250,00 EUR

Daraus folgt, dass ein Anwalt, der einen weitergehenden Auftrag erhält, nämlich für Widerspruchsverfahren und Klageverfahren, im Ergebnis weniger erhält als ein Anwalt, der im Widerspruchsverfahren nicht tätig war. Die Tätigkeit im Widerspruchsverfahren führt also trotz Mehrarbeit zu einem Gebührenverlust von 45,00 EUR.

Dass darin ein eklatanter Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG liegt, ist evident.

Der Gesetzgeber hat zwischenzeitlich reagiert und beabsichtigt, die Anrechnung der Geschäftsgebühr aus Nr. 2503 VV auf die Verfahrensgebühr der Nr...

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