RVG § 15 Abs. 5 S. 2
Leitsatz
Mangels "Erledigung des Auftrags" i.S.d. § 15 Abs. 5 S. 2 RVG entsteht für den Rechtsanwalt kein erneuter Gebührenanspruch, wenn ein gerichtliches Verfahren fortgeführt wird, das seit mehr als zwei Jahren geruht hat und/oder seitens des Gerichts statistisch erledigt wurde.
OVG Weimar, Beschl. v. 17.12.2018 – 4 VO 812/18
1 Sachverhalt
Am 6.6.2012 hatte die Beschwerdeführerin beim VG eine Klage erhoben, mit der sie die Verpflichtung des Beschwerdegegners zu ihrer Nachdiplomierung zur "Betriebswirtin (FH)" begehrte. Dieses Klageverfahren wurde zunächst unter dem AZ 2 K 648/12 We geführt. Mit Verfügung vom 11.10.2012 übersandte der zuständige Berichterstatter das Urteil eines VG in einem gleichgelagerten Fall und verwies darauf, dass dieses noch nicht rechtskräftig sei. Er stellte anheim, bis zu einer Entscheidung des OVG das Ruhen des Verfahrens zu beantragen. Auf entsprechenden Antrag der Beteiligten ordnete das VG durch Beschl. v. 9.11.2012 das Ruhen des Verfahrens an. Mit Verfügung vom 17.5.2013 ließ der Berichterstatter das Verfahren (als statistisch) erledigt austragen.
Mit Schriftsatz vom 14.3.2018 nahm der Prozessbevollmächtigte der Beschwerdeführerin das Verfahren wieder auf, teilte mit, dass der Beschwerdeführerin der begehrte Abschluss zuerkannt worden sei und erklärte das Verfahren für erledigt. Mit Verfügung vom 28.3.2018 teilte der Berichterstatter den Beteiligten mit, dass das Verfahren wieder aufgenommen werde und nunmehr das AZ 2 K 663/18 We trage. Nachdem der Beschwerdegegner sich der Erledigungserklärung angeschlossen hatte, stellte das VG das Verfahren ein.
Mit ihrem Kostenfestsetzungsantrag machte die Beschwerdeführerin unter Berufung auf § 15 Abs. 5 S. 2 RVG u.a. zwei Verfahrensgebühren geltend, die auch festgesetzt wurden. Insoweit hat der Beschwerdegegner Erinnerung eingelegt und geltend gemacht, dass die Anordnung des Ruhens des Verfahrens nicht zu einer Erledigung geführt habe. Dieser Erinnerung des Beschwerdegegners hat das VG stattgegeben. Dagegen wendet sich der Beschwerdeführer. Er ist der Auffassung, die Vorschrift des § 15 Abs. 5 S. 2 RVG sei hier einschlägig. Das OVG hat die Beschwerde zurückgewiesen.
2 Aus den Gründen
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Das VG hat der Erinnerung des Beschwerdegegners zu Recht stattgegeben. Dem Beschwerdeführer steht keine weitere Verfahrensgebühr (Nr. 3100 VV) zu. Die Voraussetzungen des § 15 Abs. 5 S. 2 RVG liegen nicht vor. Nach der vorgenannten Bestimmung gilt eine weitere Tätigkeit als neue Angelegenheit, wenn ein früherer Auftrag seit mehr als zwei Jahren erledigt ist. Eine Erledigung des Auftrags i.S.d. § 15 Abs. 5 S. 2 RVG (und auch des § 8 Abs. 1 S. 1 RVG) tritt erst ein, wenn der Anwalt seine Verpflichtungen aus dem Anwaltsdienstvertrag vollständig erfüllt hat (BGH, Beschl. v. 11.8.2010 – XII ZB 60/08, MDR 2010, 1218, juris Rn 14 [= AGS 2010, 477]). Das ist bei einer Ruhensanordnung und einer daran anknüpfenden Austragung des Verfahrens als statistisch erledigt nicht der Fall. Die Anordnung des Ruhens des Verfahrens führt lediglich zu einer (vorübergehenden) Unterbrechung des Verfahrens. Der Rechtsanwalt muss jederzeit mit einer Fortführung des Verfahrens rechnen, auch wenn seit der Unterbrechung mehr als zwei Jahre verstrichen sind. Dies trifft auch auf den vorliegenden Fall zu. Bereits im Zeitpunkt der Anordnung des Ruhens des Verfahrens war die Fortführung des Verfahrens bei Vorliegen einer Entscheidung des OVG (bzw. Eintritt der Rechtskraft des erstinstanzlichen Urteils) in dem gleichgelagerten Verfahren beabsichtigt. Ein neuer Auftrag ist bei einer Anordnung des Ruhens des Verfahrens nicht erforderlich, da der Prozessbevollmächtigte weiterhin beauftragt bleibt (BGH, Beschl. v. 30.3.2006 – VII ZB 69/05, NJW 2006, 1525, juris Rn 5 [= AGS 2006, 323]; Beschl. v. 11.8.2010 – XII ZB 60/08, MDR 2010, 1218, juris Rn 26 [= AGS 2010, 477]; Bayerischer VGH, Beschl. v. 8.12.2014 – 15 M 14.2529 [= AGS 2015, 62]).
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem von der Beschwerdeführerin in Bezug genommenen Beschluss des BGH v. 6.11.2017 (V ZB 152/16 [= AGS 2018, 373]). Dieser Entscheidung lag zugrunde, dass die Beklagtenseite mehr als vier Jahre nach öffentlicher Zustellung eines Versäumnisurteils Einspruch einlegte und Widerklage sowie Eventualwiderklage erhob. Diese Fallkonstellation gibt schon allein deshalb für den Verwaltungsprozess nichts her, weil die Verwaltungsprozessordnung kein Versäumnisurteil vorsieht.
Auch kommt ungeachtet dessen unter Berücksichtigung der vom BGH in der vorgenannten Entscheidung entwickelten Grundsätze keine analoge Anwendung des § 15 Abs. 5 S. 2 RVG auf den Fall der Ruhensanordnung in Betracht. Es fehlt an einer interessengleichen Lage. Der BGH hat in der o.g. Entscheidung eine Erledigung des von der Klägerseite erteilten Anwaltsauftrags mit der Begründung angenommen, dass die Beklagtenseite nicht innerhalb der vom Gericht nach § 339 Abs. 2 ZPO bestimmten Einspruchsfrist Einspruch eingelegt habe und dass die Prozessbevollmächtig...