VwGO §§ 165, 84 Abs. 2 Nr. 2, Nr. 5; RVG VV Nr. 3104

Leitsatz

Das Entstehen einer fiktiven Terminsgebühr bei Entscheidung durch Gerichtsbescheid ist nicht auf die Fälle des § 84 Abs. 2 Nr. 5 VwGO beschränkt, sondern erfasst auch den Fall des § 84 Abs. 2 Nr. 2 VwGO.

VG München, Beschl. v. 20.12.2019 – M 11 M 17.36562

1 Sachverhalt

Mit Gerichtsbescheid hob das Gericht einen Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge auf und wies die Klage des Klägers i.Ü. ab. Die Verfahrenskosten wurden zu drei Vierteln der Beklagten und zu einem Viertel dem Kläger auferlegt.

Später machte der bevollmächtigte Rechtsanwalt des Klägers Kosten von insgesamt 925,22 EUR geltend, wovon nach der Kostenentscheidung des Gerichtsbescheids die Beklagte drei Viertel, also 696,91 EUR, zu tragen habe. In dem geltend gemachten Betrag war auch eine 1,2-fache Terminsgebühr i.H.v. 363,60 EUR enthalten.

Die Kostenbeamtin setzte die dem Kläger entstandenen notwendigen Aufwendungen auf insgesamt 492,54 EUR fest, wovon die Beklagte dreiviertel, also 369,41 EUR, zu tragen habe. Die Kostenbeamtin ließ die geltend gemachte Terminsgebühr unberücksichtigt, weil der Gerichtsbescheid die Möglichkeit der Berufung zugelassen habe.

Der Bevollmächtigte des Klägers beantragte daraufhin gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss die Entscheidung des Gerichts.

Er legte zur Begründung näher dar, dass nach Nr. 3104 VV Abs. 1 Nr. 2 VV die Terminsgebühr entstanden sei. Das Bundesamt trat dem Antrag entgegen und legte näher dar, dass diese Gebühr nicht entstanden sei.

Die Kostenbeamtin hat der Erinnerung nicht abgeholfen und hat sie dem Gericht zur Entscheidung vorgelegt.

2 Aus den Gründen

Der nach § 165 i.V.m. § 151 VwGO zulässige Antrag ist begründet.

Die Terminsgebühr ist in Ansatz zu bringen. Nach Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV entsteht die Terminsgebühr auch, wenn nach § 84 Abs. 1 S. 1 VwGO durch Gerichtsbescheid entschieden wird und eine mündliche Verhandlung beantragt werden kann.

Eine solche Situation lag hier vor.

Das Gericht teilte zwar die Meinung, dass nur derjenige Rechtsanwalt die fiktive Terminsgebühr nach Anm. Abs. 1 Nr. 2 zu Nr. 3104 VV geltend machen kann, der im konkreten Fall auch einen zulässigen Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung hätte stellen können (so OVG Lüneburg, Beschl. v. 16.8.2018 – 2 OA 1541/17, juris [= AGS 2018, 454]; BayVGH, Beschl. v. 24.10.2018 – 5 C 18.1932, juris [= AGS 2018, 554]; VG München, Beschl. v. 14.1.2019 – M 22 M 17.49678, juris; VG Würzburg, Beschl. v. 29.5.2019 – W 10 M 19.50363, juris). Diese Voraussetzung war hier jedoch gegeben. Der Kläger hat nicht vollständig obsiegt. Die Klage wurde teilweise abgewiesen, sodass nach § 84 Abs. 2 Nr. 2 VwGO eine mündliche Verhandlung hätte zulässigerweise beantragt werden können.

Soweit die Beklagte näher dargelegt hat, Anm. Abs. 1 Nr. 2 zu Nr. 3104 VV sei noch weiter einschränkend so zu verstehen, dass die fiktive Terminsgebühr nur in den Fällen des § 84 Abs. 2 Nr. 5 VwGO entstehe, kann dem nicht gefolgt werden. Eine derart enge Auslegung ergibt sich weder aus dem Wortlaut der in Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV getroffenen Regelung noch kann sie aus der Entstehungsgeschichte gefolgert werden. Ausweislich der Gesetzesbegründung (BT-Drucks 17/11471, 275) sollte die Entstehung der fiktiven Terminsgebühr "konsequent auf die Fälle beschränkt werden, in denen der Anwalt durch sein Prozessverhalten eine mündliche Verhandlung erzwingen kann, weil nur in diesem Fall eine Steuerungswirkung notwendig ist." Diese Möglichkeit, eine mündliche Verhandlung zu "erzwingen", hatte der Bevollmächtigte des Klägers auch in dem hier vorliegenden Fall des § 84 Abs. 2 Nr. 2 VwGO. Die Gesetzesbegründung (a.a.O.) enthält zwar auch die Erwägung, dass die Beteiligten in beiden Verfahrensarten (VwGO und SGG) "nur dann eine mündliche Verhandlung beantragen [können], wenn gegen den Gerichtsbescheid kein Rechtsmittel gegeben ist". Diese Erwägung ist jedoch jedenfalls für die VwGO unzutreffend, wie sich aus § 84 Abs. 2 Nr. 2 (und auch Nr. 4) VwGO ergibt. Nach Ansicht des Gerichts kann sie deshalb für die Frage, wann die fiktive Terminsgebühr entsteht, keine maßgebliche Bedeutung haben. Als maßgeblicher gesetzgeberischer Wille ist daher die Erwägung anzusehen, dass die Vorschrift in den Fällen Anwendung finden soll, in denen der Rechtsanwalt eine mündliche Verhandlung hätte erzwingen können. I.Ü. wäre selbst dann, wenn der gesetzgeberische Wille tatsächlich so zu verstehen sein sollte, dass in den Verfahren nach der VwGO das Entstehen der fiktiven Terminsgebühr auf die Fälle des § 84 Abs. 2 Nr. 5 VwGO hätte beschränkt werden sollen, eine solche Auslegung nicht geboten, weil sie im Wortlaut von Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV keinen hinreichenden Niederschlag gefunden hat. Insgesamt teilt das Gericht deshalb die inzwischen wohl überwiegende Ansicht, dass die Entstehung der fiktiven Terminsgebühr nicht auf die Fälle des § 84 Abs. 2 Nr. 5 VwGO beschränkt ist (so ausdrücklich VG Karlsruhe, Beschl. v. 29.11.2018 – A 12 K 16238/17, juris; VG Augsburg, Beschl. v. 29.3.201...

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