RVG §§ 21 Abs. 1, 60; ZPO § 538; StPO § 354
Leitsatz
- Hebt das Beschwerdegericht einen Einstellungsbeschluss nach § 206a StPO auf und ordnet es die Fortsetzung des Hauptverfahrens vor dem Ausgangsgericht an, so ist das weitere Verfahren nach Fortsetzung vor dem Ausgangsgericht eine neue Angelegenheit i.S.d. § 21 Abs. 1 RVG, in der die Verfahrensgebühr erneut entsteht.
- Wird ein Verfahren nach einer Änderung des Gebührenrechts zurückverwiesen, so gilt für das Verfahren nach Zurückverweisung neues Gebührenrecht.
OLG Koblenz, Beschl. v. 11.9.2019 – 2 Ws 421/19
1 Sachverhalt
In vorliegender Sache fand eine Hauptverhandlung zunächst v. 20.8.2012 bis zum 5.4.2017 statt, wobei an 337 Tagen verhandelt wurde. Rechtsanwalt ...[A] war für den früheren Angeklagten ...[B] am 27.7.2012 als Pflichtverteidiger bestellt worden. Am 2.5.2017 setzte die Kammer die Hauptverhandlung gem. § 228 Abs. 1 S. 1 StPO im Hinblick auf das mit Ablauf des Monats Juni 2017 bevorstehende Ausscheiden des Vorsitzenden Richters wegen Erreichens der gesetzlichen Altersgrenze aus; mit Beschluss – außerhalb der Hauptverhandlung – v. 29.5.2017 stellte sie das Verfahren sodann gem. § 206a StPO wegen überlanger Verfahrensdauer ein. Auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft hob der Senat die zuletzt genannte Entscheidung durch Beschl. v. 4.12.2017 auf und ordnete an, dass das Hauptverfahren vor der 12. Strafkammer als Staatsschutzkammer des LG Koblenz fortzusetzen sei.
Die weitere Hauptverhandlung gegen den Angeklagten ...[B] fand zunächst ab dem 15.10.2018 statt; sie wurde am 6.11.2018 ausgesetzt und am 26.2.2019 neu wieder aufgenommen. Am 21.8.2019 ist ein – zwischenzeitlich rechtskräftiges – Urteil gegen den Angeklagten ...[B] ergangen.
Mit Schriftsatz v. 23.11.2018 hat Rechtsanwalt ...[A] einen Vorschuss auf die aus der Staatskasse zu gewährende Pflichtverteidigerentschädigung i.H.v. 5.696,69 EUR beantragt. Er vertritt die Auffassung, dass eine Verfahrensgebühr gem. Nr. 4118 VV erneut angefallen ist und macht insgesamt die Gebühren für diesen Verfahrensabschnitt nach Maßgabe der durch das 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz erfolgten Anhebung geltend. Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat den Vorschuss auf 4.728,58 EUR festgesetzt. Er hat sich auf den Standpunkt gestellt, dass durch die Senatsentscheidung v. 4.12.2017 keine neue gebührenrechtliche Angelegenheit begründet worden und die Vorschusszahlungen insgesamt nach Maßgabe der zum Zeitpunkt der Pflichtverteidigerbestellung geltenden Fassung des Kostenverzeichnisses zum RVG zu bemessen seien. Die hiergegen eingelegte Erinnerung von Rechtsanwalt ...[A] hat die Strafkammer nach Übertragung durch den Einzelrichter als unbegründet zurückgewiesen.
Der von Rechtsanwalt ...[A] eingelegten Beschwerde hat die Strafkammer nicht abgeholfen und die Sache dem OLG vorgelegt.
2 Aus den Gründen
Die Beschwerde ist gem. § 56 Abs. 2 S. 1 i.V.m. § 33 Abs. 3 S. 1 RVG statthaft und auch sonst zulässig, insbesondere innerhalb der vorgeschriebenen Frist von zwei Wochen eingelegt worden; der erforderliche Beschwerdewert von 200,00 EUR (§ 33 Abs. 3 S. 3 RVG) ist erreicht.
Der Umstand, dass gegen den Angeklagten ...[B] nach Einlegung der Beschwerde ein das Verfahren gegen ihn rechtskräftig abschließendes Urteil ergangen ist, führt nicht zur prozessualen Überholung des Rechtsmittels. Die den Beschwerdeführer beeinträchtigende Maßnahme, nämlich die aus seiner Sicht zu gering bemessene Vorschusszahlung dauert fort, weil sich das Bemessungsminus in der Berechnung der endgültigen Verfahrensgebühren fortsetzt (vgl. § 58 Abs. 3 S. 1 RVG).
In der Sache hat das Rechtsmittel einen überwiegenden Teilerfolg.
Rechtsanwalt ...[A] hat gegen die Staatskasse einen Anspruch auf Vorschusszahlungen für seine Tätigkeit als Pflichtverteidiger in der Zeit v. 6.4.2017 bis zum 21.11.2018 i.H.v. 5.383,08 EUR. Die Senatsentscheidung v. 4.12.2017 hat bewirkt, dass das weitere Verfahren vor der 12. Strafkammer als Staatsschutzkammer als neuer Rechtszug mit den entsprechenden gebührenrechtlichen Folgen anzusehen ist.
1. Gem. § 21 Abs. 1 RVG ist, soweit eine Sache an ein untergeordnetes Gericht zurückverwiesen wird, das weitere Verfahren vor diesem Gericht ein neuer Rechtszug. Diese Vorschrift ist Ausnahmeregelung zu dem in § 15 Abs. 1 RVG enthaltenen Grundsatz, wonach der Anwalt die Gebühren in demselben Rechtszug nur einmal erhält (Thiel in: Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, 2. Aufl., § 21 Rn 2). Eine Zurückverweisung i.S.v. § 21 Abs. 1 RVG liegt vor, wenn das Rechtsmittelgericht durch eine den Rechtszug beendende Entscheidung einem in dem Instanzenzug untergeordneten Gericht die abschließende Entscheidung überträgt. Das Gericht eines höheren Rechtszuges muss auf Rechtsmittel, wozu auch die Beschwerde zählt, mit der Sache befasst gewesen sein und darf nicht endgültig über die Sache entschieden haben, sondern muss diese zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das Untergericht verwiesen haben (vgl. Mayer in: Gerold/Schmidt, RVG-Kommentar, 23. Aufl. § 21 Rn 2 m.w.N..).
Der Begriff ...