§ 12a Abs. 1 S. 1 ArbGG; § 288 Abs. 5 S. 1 BGB; § 717 Abs. 2 S. 1 ZPO
Leitsatz
- § 12a Abs. 1 S. 1 ArbGG schließt als spezielle arbeitsrechtliche Regelung nicht nur einen prozessualen Kostenerstattungsanspruch, sondern auch einen materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch für bis zum Schluss einer eventuell ersten Instanz entstandene Beitreibungskosten aus.
- Deshalb steht dem Anspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber auf Zahlung einer Verzugspauschale nach § 288 Abs. 5 S. 1 BGB die Regelung des § 12a Abs. 1 S. 1 ArbGG entgegen.
- Hat der Arbeitgeber die Verzugspauschale nach § 288 Abs. 5 S. 1 BGB zur Abwendung der Zwangsvollstreckung gezahlt, so steht ihm nach der gem. § 62 Abs. 2 S. 1 ArbGG auch im arbeitsgerichtlichen Urteilsverfahren anwendbaren Bestimmung des § 717 Abs. 2 S. 1 ZPO ein Schadensersatzanspruch auf Rückzahlung der geleisteten Verzugspauschale zu.
BAG, Urt. v. 22.10.2020 – 8 AZR 412/19
I. Sachverhalt
Der Kläger, der Arbeitnehmer bei der beklagten Arbeitgeberin war, hatte vor dem ArbG Dresden ein Urteil auf Zahlung einer Vergütung in unterschiedlicher Höhe für die Monate Oktober bis Dezember 2017 und auf Zahlung dreier Verzugspauschalen nach § 288 Abs. 5 S. 1 BGB i.H.v. jeweils 40 EUR erwirkt. Gegen dieses Urteil hat die Beklagte beim Sächs. LAG Berufung eingelegt und hilfsweise Widerklage auf Rückzahlung der von ihr geleisteten drei Verzugspauschalen erhoben. Das LAG hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und die Revision insoweit zugelassen, als die Beklagte auch zur Zahlung dreier Verzugspauschalen verurteilt worden ist. Die hiergegen eingelegte Revision der Beklagten hatte beim BAG Erfolg.
II. Anspruch auf Verzugspauschale
1. Gesetzliche Regelung
Gem. § 288 BGB steht dem Gläubiger gegen den Schuldner ein Anspruch auf Verzugszinsen und auf sonstigen Verzugsschaden zu. Nach § 288 Abs. 5 S. 1 BGB hat der Gläubiger eine Entgeltforderung bei Verzug des Schuldners, der kein Verbraucher ist, außerdem einen Anspruch auf Zahlung einer Pauschale i.H.v. 40 EUR. Nach Auffassung des BAG hat der Kläger gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung der drei Verzugspauschalen.
2. Gläubiger von Entgeltforderungen
Das BAG hat zunächst darauf hingewiesen, dass der Kläger, dem die Beklagte rückständige Vergütung für die Monate Oktober bis Dezember 2017 schuldete, Gläubiger von Entgeltforderungen i.S.v. § 288 Abs. 5 S. 1 BGB sein könne. Die Beklagte habe sich nach der insoweit rechtskräftigen Entscheidung des Berufungsgerichts mit der Zahlung der Vergütung für die Monate Oktober bis Dezember 2017 auch – jedenfalls teilweise – in Vollzug befunden. Das BAG hat auch auf neuere Entscheidungen des EuGH verwiesen, wonach nach der Richtlinie 2011/7/EU mit dem in § 288 Abs. 5 S. 2 BGB genannten Betrag von 40 EUR nicht nur die internen, sondern auch die externen Beitreibungskosten pauschaliert werden sollen. Aus den Ausführungen des EuGH, auf die sich das BAG bezogen hat, folgt, dass die Verzugspauschale nach § 288 Abs. 5 S. 1 BGB auch und zentral der Kompensation eines Verzugsschadens dient und keinen Strafschadensersatz beinhaltet.
III. Ausschluss der Kostenerstattung
Dem Anspruch des Klägers auf Zahlung dreier Verzugspauschalen nach § 288 Abs. 5 S.1 BGB steht nach den weiteren Ausführungen des BAG die Vorschrift des § 12a Abs. 1 S. 1 ArbGG entgegen. Nach dieser Vorschrift hat die obsiegende Partei im Urteilsverfahren des ersten Rechtszugs keinen Anspruch auf Entschädigung wegen Zeitversäumnis und auf Erstattung der Kosten für die Zuziehung eines Prozessbevollmächtigten oder Beistandes. Unter Hinweis auf seine Entscheidung vom 25.9.2018 (RVGreport 2019, 390 [Hansens] = NZA 2019, 121) hat das BAG ausgeführt, § 12a Abs. 1 S. 1 ArbGG schließe als spezielle arbeitsrechtliche Regelung nicht nur einen prozessualen Kostenerstattungsanspruch, sondern auch einen materiell-rechtlichen Anspruch auf Erstattung von bis zum Schluss einer eventuellen ersten Instanz entstandenen Beitreibungskosten aus. Hierunter falle auch ein Anspruch auf Zahlung der Verzugspauschale nach § 288 Abs. 5 S. 1 BGB.
IV. Anspruch auf Rückzahlung der Verzugspauschale
Auf die Widerklage hat das BAG den Kläger verurteilt, die drei an ihn gezahlten Verzugspauschalen i.H.v. insgesamt 120 EUR an die Beklagte zurückzuzahlen.
1. Anspruch gem. § 717 Abs. 2 S. 1 ZPO
Anspruchsgrundlage war für das BAG die Bestimmung des § 717 Abs. 2 S. 1 HS 2 ZPO, die gem. § 62 Abs. 2 S. 1 ArbGG auch im arbeitsgerichtlichen Urteilsverfahren anwendbar sei. Werde ein für vorläufig vollstreckbar erklärtes Urteil aufgehoben oder abgeändert, so sei der Kläger gem. § 717 Abs. 2 S. 1 ZPO zum Ersatz desjenigen Schadens verpflichtet, welcher dem Beklagten durch die Vollstreckung des Urteils oder durch eine zur Abwendung der Vollstreckung gemachte Leistung entstanden sei. Nach den Ausführungen des BAG beruht diese Regelung auf dem allgemeinen Rechtsgedanken, dass die Vollstreckung aus einem noch nicht rechtskräftigen Urteil auf Gefahr des Gläubigers – hier also des Klägers – erfolgt. Der Schadensersatzanspruch nach § 717 Abs. 2 S. 1 ZPO umfasse alle Schäden, die dem Beklagten durch die vorzeitige Leistung entstanden sei und die im ...