§ 46 Abs. 2 S. 1 und 2 RVG; § 397a Abs. 1 Nr. 4 StPO
Leitsatz
- Die in der ersten Instanz erfolgte Bestellung des Rechtsanwalts als Beistand gem. § 397a Abs. 1 Nr. 4 StPO wirkt über die jeweilige Instanz hinaus bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens fort und erstreckt sich somit auch auf die Revisionsinstanz.
- Die Teilnahme der Nebenkläger-Vertreterin an der Revisionshauptverhandlung, in der u.a. über die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Unterbleiben der Anordnung der Sicherungsverwahrung gegen den Angeklagten zu entscheiden ist, ist zur Wahrnehmung der Interessen der Nebenklägerin und ihrer Rechte geboten.
BGH, Beschl. v. 10.8.2020 – 5 StR 616/19
I. Sachverhalt
Das LG Berlin hatte den Angeklagten verurteilt, eine Anordnung der Sicherungsverwahrung hingegen abgelehnt. Gegen dieses Urteil hat die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt. Der BGH hat einen Termin für die Revisionshauptverhandlung auf den 19.8.2020 anberaumt. Hieraufhin hat die der Geschädigten beigeordnete Nebenkläger-Vertreterin Rechtsanwältin A beantragt, die erfolgte Bestellung als Beistand der Nebenklägerin auch auf die Revisionshauptverhandlung zu erstrecken. Ferner hat sie den Antrag gestellt, festzustellen, dass ihre Reise zu der vor dem BGH stattfindenden Hauptverhandlung erforderlich sei.
II. Reichweite der Bestellung als Beistand
Gem. § 397a Abs. 1 StPO ist dem Nebenklägervertreter auf seinen Antrag ein Rechtsanwalt als Beistand zu bestellen, wenn einer der in dieser Vorschrift unter Nrn. 1 bis 5 aufgeführten Voraussetzungen vorliegt. Gem. § 397a Abs. 3 S. 2 StPO entscheidet über diesen Antrag der Vorsitzende des mit der Sache befassten Gerichts, hier also der Vorsitzende der zuständigen Strafkammer des LG Berlin. Dieser hatte der Nebenklägerin in der ersten Instanz die Rechtsanwältin A aus Berlin als Beistand bestellt.
Diese in der ersten Instanz erfolgte Bestellung wirkt nach Auffassung des BGH über die jeweilige Instanz hinaus und gilt bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens fort. Damit erstreckt sich die erstinstanzliche Bestellung als Beistand auch auf die Revisionsinstanz, sodass die hier von der Rechtsanwältin beantragte Erstreckung der erstinstanzlichen Bestellung entbehrlich war.
III. Erforderlichkeit der Reise
1. Gesetzliche Grundlagen
Der im Wege der PKH oder VKH oder vom Gericht sonst beigeordnete oder bestellte Rechtsanwalt wie hier die der Nebenklägerin als Beistand bestellte Rechtsanwältin A erhält gem. § 45 Abs. 1 RVG die gesetzliche Vergütung aus der Staatskasse, soweit in den nachfolgenden gesetzlichen Vorschriften des RVG nichts anderes bestimmt ist. § 46 Abs. 1 RVG trifft für die Auslagen des beigeordneten oder bestellten Rechtsanwalts die Regelung, dass Auslagen, insbesondere Reisekosten, aus der Staatskasse nicht vergütet werden, wenn sie zur sachgemäßen Durchführung der Angelegenheit nicht erforderlich waren. Da der beigeordnete oder bestellte Anwalt, der zunächst Reiseauslagen aufwendet und diese nach Durchführung der Reise gegen die Staatskasse geltend macht, das Risiko trägt, dass diese Auslagen dann im Festsetzungsverfahren gem. § 55 Abs. 1 RVG nicht als erforderlich angesehen werden, kann er gem. § 46 Abs. 2 S. 1 RVG eine vorherige diesbezügliche Feststellung des Gerichts beantragen. Hat das Gericht seinem Antrag entsprechend festgestellt, dass die Reise erforderlich ist, ist diese positive Feststellung für das Festsetzungsverfahren gem. § 55 RVG bindend. Allerdings hat dort der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle (UdG) die Höhe der aufgewandten Reisekosten zu überprüfen. So kann er bspw. beanstanden, dass der Rechtsanwalt kein kostengünstigeres Verkehrsmittel in Anspruch genommen hat. Die negative Entscheidung über den Feststellungsantrag hat zwar keine Bindungswirkung für den UdG im Festsetzungsverfahren. Jedoch zeigt die Praxis, dass die UdG allenfalls im seltenen Ausnahmefall die Erforderlichkeit der Reise anders beurteilen als zuvor das Gericht des Rechtszugs.
Diese die Reiseauslagen betreffenden Regelungen gelten gem. § 46 Abs. 2 S. 3 RVG auch für sonstige Aufwendungen des beigeordneten oder bestellten Rechtsanwalts, die er gem. § 670 BGB den Umständen nach für erforderlich halten durfte.
2. Erforderlichkeit
a) Grundsätze
Grds. kann eine Reise des beigeordneten oder bestellten Rechtsanwalts zu seinem nicht am selben Ort wohnhaften Mandanten erforderlich sein, insbesondere wenn der Mandant selbst nicht reisefähig ist (vgl. AnwKomm-RVG/Fölsch, 8. Aufl., § 46 Rn 11). Dabei ist jedoch das allgemein geltende Gebot der sparsamen Prozessführung zu beachten (s. hierzu auch KG RVGreport 2008, 302 [Burhoff] für die Reise des Pflichtverteidigers im Strafvollstreckungsverfahren zu seinem in Frankreich wohnhaften Mandanten). Liegen Anhaltspunkte vor, die auf einen Missbrauch der kostenschonenden Prozessführung des beigeordneten oder bestellten Rechtsanwalts hindeuten (s. BVerfG NJW 2003, 1442; OLG Brandenburg RVGreport 2007, 182 [Burhoff]), spricht schon ein Anscheinsbeweis gegen die Erforderlichkeit der Reise. Gegenstand der Entscheidung des BGH (zfs 2016, 461 m. Anm. Hansens = RVGreport 2016, 302 [...