§ 48 RVG
Leitsatz
Auch nach neuem Recht kommt eine Umbeiordnung unter der Voraussetzung, dass für die Staatskasse keine Mehrkosten entstehen, nur in Betracht, wenn der neue Pflichtverteidiger ggf. einen Verzicht auf beim alten Pflichtverteidiger bereits entstandene Gebühren erklärt hat.
LG Braunschweig, Beschl. v. 3.9.2020 – 4 Qs 180/20
I. Sachverhalt
Die Staatsanwaltschaft legt dem Angeklagten einen gemeinschaftlichen Diebstahl im besonders schweren Fall zur Last. Mit Verfügung vom 18.6.2020 hat die Staatsanwaltschaft auf Anregung des AG beantragt, dem Angeklagten einen Pflichtverteidiger beizuordnen. Mit Verfügung vom 26.6.2020 hat das AG den Angeklagten zur beabsichtigten Pflichtverteidigerbestellung angehört und mitgeteilt, dass das Gericht einen Rechtsanwalt auswählen würde, wenn der Rechtsanwalt nicht binnen einer Woche einen Rechtsanwalt bezeichne. Mit Beschl. v. 20.7.2020 hat das AG dem Angeklagten dann Rechtsanwalt H als Pflichtverteidiger beigeordnet.
Mit Schreiben vom 3.7.2020 hat der Angeklagte gegenüber der Staatsanwaltschaft Braunschweig die Beiordnung von Rechtsanwalt F. als Pflichtverteidiger beantragt. Nach Anhörung von Rechtsanwalt H. hat dieser mitgeteilt, einer Entpflichtung nicht entgegen zu treten, sofern ihm die Grundgebühr, die Verfahrensgebühr, Post- und Telekommunikationsentgelte, Fotokopiekosten und die Umsatzsteuer auf die Vergütung zustehe. Nach Anhörung der StA, die dem Pflichtverteidigerwechsel nicht entgegengetreten ist, hat das AG die Bestellung von Rechtsanwalt H. als Pflichtverteidiger aufgehoben und Rechtsanwalt F. als neuen Pflichtverteidiger bestellt. Zugleich hat es tenoriert, dass ein Anspruch auf die entstandenen Verteidigerkosten nicht bestehe. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Angeklagten. Die hatte Erfolg.
II. Keine Stütze im Gesetz
Nach Auffassung des LG ist die sofortige Beschwerde (§ 142 Abs. 7 StPO) begründet. Die angegriffene gerichtliche Bestimmung, dass für den Verteidiger des Angeklagten ein Anspruch auf die bereits entstandenen Verteidigerkosten nicht bestehe, finde keine Stütze im Gesetz und sei daher aufzuheben. Der Wechsel des Pflichtverteidigers sei seit Inkrafttreten des Gesetzes vom 10.12.2019 (BGBl I, 2128) gesetzlich in § 143a StPO geregelt. Der vorliegende Fall des einverständlichen Pflichtverteidigerwechsels sei durch das "Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung" zwar nicht explizit geregelt, solle aber nach den von der Rspr. entwickelten Maßgaben weiterhin möglich sein (vgl. BT-Drucks 19/13829, 47).
Danach sei dem Wunsch des Beschuldigten auf Wechsel des Pflichtverteidigers nachzukommen, wenn der bisherige Pflichtverteidiger damit einverstanden ist und durch die Bestellung des neuen Verteidigers weder eine Verfahrensverzögerung noch Mehrkosten für die Staatskasse verursacht werden (st. Rspr. der OLG, vgl. u.a. KG NStZ 2017, 305; OLG Braunschweig StraFo 2008, 428; OLG Brandenburg NStZ-RR 2009, 64; OLG Düsseldorf StraFo 2007, 156; OLG Karlsruhe NStZ 2016, 305; OLG Oldenburg NStZ-RR 2010, 210; OLG Frankfurt a.M. NStZ-RR 2008, 47; StV 2008, 128). Der Begriff der Mehrkosten erfasse nur solche Gebührenpositionen, die durch eine neue Bestellung doppelt entstehen würden, wie also Grund- und Verfahrensgebühr, nicht dagegen Fahrtkosten und Abwesenheitsgelder (vgl. OLG Celle RVGreport 2019, 254 = StraFo 2019, 263 = RVGprof. 2019, 95 = AGS 2019, 333). Die erforderliche Kostenneutralität sei gewahrt, wenn der neue Verteidiger auf die bisher für die Pflichtverteidigung angefallenen Gebühren (Grund- und Verfahrensgebühr) verzichte.
Diesen Voraussetzungen werde die Entscheidung des AG nicht gerecht, sodass sie keinen Bestand haben könne. Einen Verzicht auf die bereits Rechtsanwalt H. entstandenen Gebühren habe der (neue) Verteidiger des Angeklagten nicht erklärt; er sei diesbezüglich auch nicht durch das Amtsgericht angehört worden.
Eine gerichtliche Kompetenz, die Gebühren des neuen Pflichtverteidigers nach Pflichtverteidigerwechsel zu begrenzen, bestehe nicht. Vorliegend hätte das AG vor der Entscheidung über den Pflichtverteidigerwechsel eine Stellungnahme von Rechtsanwalt F. im Hinblick auf die Kostenneutralität des Pflichtverteidigerwechsels einholen und für den Fall, dass dieser auf die Grund- und Verfahrensgebühr nicht verzichten würde, den Pflichtverteidigerwechsel versagen müssen, da die Voraussetzungen des § 143a Abs. 2 StPO nicht erkennbar vorlagen.
III. Bedeutung für die Praxis
Die Entscheidung ist zutreffend. Anzumerken ist nur Folgendes:
1. Soweit ersichtlich handelt es sich bei der Entscheidung um die erste bekannt gewordene Entscheidung zum einvernehmlichen Pflichtverteidigerwechsel. Insoweit ist festzuhalten, dass dazu die zum früheren Recht aufgestellten Regeln der Rspr. weiter gelten (vgl. dazu Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 8. Aufl., 2019, Rn 3213 ff. m.w.N.). Danach kommt der Wechsel nur unter den vom LG noch einmal aufgezeigten Bedingungen in Betracht. Dazu gehört eben auch der vorab vom "neuen" Pflichtverteidiger erklärte Verzicht auf die Gebühren, die b...