1. Allgemeine Problematik
Wie bereits zuvor das AG Stade (AGS 2022, 84) und das AG Karlsruhe (AGS 2022, 85), beschäftigt sich das AG Norderstedt mit der seit 1.1.2021 "heiß" entbrannten Frage, ob nun die ersten 10 Zustellungen abzuerkennen sind (so das AG Norderstedt nun) oder ob dies nur dann greife, wenn es insgesamt unter 10 Zustellungen verbleibt (so die AG Karlsruhe und Stade). Interessanterweise bekennt das AG Norderstedt anders als die anderen Gerichte "pauschal" Farbe und will eine generelle Kürzung der ersten 10 Zustellungen sehen ("ausnahmslos"). Die Streitfrage, ob damit eine Kürzung auch dann vorzunehmen ist, wenn insgesamt mehr als 10 Zustellungen notwendig werden, wird damit eindeutig beantwortet.
2. Klarer gesetzlicher Wille
Anders als die AG Stade und Karlsruhe sieht das AG Norderstedt keinen Raum für Interpretationen. Sinngemäß sei dem Gesetzgeber dieser Streit bekannt gewesen, aus der Gesetzesbegründung lasse sich aber "eindeutig" der Wille entnehmen, eine Kürzung vorzunehmen. Der Gesetzgeber habe sich in der Gesetzesbegründung zum SanInsFoG zu dieser Frage nämlich positioniert. Dort heißt es zur Einführung des § 4 Abs. 2 S. 2 InsVV (BT-Drucks 19/24181, 212):
Die Regelung entspricht – und hier weist das AG Norderstedt darauf hin – den gemeinsamen Vorschlägen der Berufsverbände und wird auch vom Bundesarbeitskreis Insolvenzgerichte e.V. sowie nahezu einhellig von den Ländern befürwortet“. Angesichts einer solchen klaren Regelung und Aussage bestünde kein Raum für Abweichungen. Eine "gestiegene" Belastung sei zudem nicht erkennbar, denn insgesamt bleibe ja nach Anpassung der Gebühren zum 1.1.2021 eine Erhöhung bestehen. Letztlich – so das Gericht – sei es auch nicht auszuschließen, dass dieser "Verlust" umgekehrt "eingepreist" wurde in die Erhöhungen durch die Reform. Folgt man der Ansicht des AG Norderstedt wird daher zukünftig immer ein Abzug in der Verwaltervergütung vorzunehmen sein, wonach die ersten zehn Zustellungen gekürzt werden müssen.
3. Bedeutungsvolumen
Betrachtet man die nahezu sieben Millionen (nach den Feststellungen der Creditreform Wirtschaftsforschung in ihrer Presseerklärung v. 10.11.2020 sind in Deutschland aktuell 6,85 Mio. Privatpersonen überschuldet, https://www.creditreform.de/fileadmin/user_upload/central_files/News/News_Wirtschaftsforschung/2020/SchuldnerAtlas_Deutschland/Presseinfo_SchuldnerAtlas_2020.pdf) überschuldete Mitbürger, die den potentiellen Gang in ein Insolvenzverfahren vor sich haben könnten, wird gewahr, von welchem Kostenpotenzial man bei der saloppen Aberkennung der ersten 10 Zustellungen spricht.
In der Tat geht es hier um "Summen" für viele Insolvenzverwalter. In der Tat wurden aber auch die Gebühren zum 1.1.2021 angehoben. Unklar bleibt, ob dies eingepreist wurde. Letztlich darf dies aber egal sein, denn der Gesetzgeber hat sich offensichtlich "bewusst" für die Aberkennung ausgesprochen. Zu Recht argumentieren jedoch das AG Karlsruhe (AGS 2022, 85) und das AG Stade (AGS 2022, 84) damit, dass im Falle der Delegation an den Insolvenzverwalter ein anderes Verhältnis gegeben ist. Die Staatskasse delegiert hoheitliche Aufgaben (Zustellungen der eigenen Beschlüsse) an einen Dritten (hier den Insolvenzverwalter) und will für diesen dann einen Kostenerlass aussprechen.
Insoweit zeigt sich, dass die Bezugnahme auf Nr. 9002 GKG KV nicht ganz zu Ende gedacht ist. Es verbietet sich, für einen Dritten einen "Verzicht" auf Auslagen auszusprechen. I.Ü. ist das AG Norderstedt – soweit bekannt – das einzige Gericht, welches sich mit der weiteren Frage beschäftigt hat, ob wegen der Aberkennung sozusagen kompensierend ein Zuschlag geltend gemacht werden kann, was es abgelehnt hat.
Dipl.-RPfleger Stefan Lissner, Konstanz
AGS 3/2022, S. 138 - 139