§§ 45, 48 RVG
Leitsatz
Wird die Pflichtverteidigerbestellung rückwirkend aufgehoben, entfällt damit ein Vergütungsanspruch des Verteidigers.
LG Amberg, Beschl. v. 5.12.2022 – 11 Qs 79/22
I. Sachverhalt
Bei der Staatsanwaltschaft war seit dem 11.1.2021 ein Ermittlungsverfahren gegen den Beschuldigten wegen Besitzes von Jugendpornographie anhängig. Mit Schriftsatz vom 7.12.2020 zeigte der Rechtsanwalt die Verteidigung des Beschuldigten gegenüber der Kriminalpolizei an und beantragte Akteneinsicht. Mit Verfügung vom 12.1.2021 erhielt der Verteidiger Akteneinsicht und die Möglichkeit zur Stellungnahme bis 26.1.2021. Auf Antrag wurde die Stellungnahmefrist bis 19.2.2021 verlängert und Akteneinsicht in ein Sonderheft auf der Geschäftsstelle bewilligt. Die Akteneinsicht in den Sonderband erfolgte am 17.2.2021.
Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 19.2.2021 beantragte der Beschuldigte die Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO, da nicht eindeutig feststellbar sei, ob die auf beschlagnahmten Lichtbildern abgebildeten Personen überhaupt jugendlich seien und der Beschuldigte die abgebildeten Personen für minderjährig gehalten habe. Am 24.2.2021 beantragte der Beschuldigte mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 23.2.2021, dass ihm dieser als Pflichtverteidiger beigeordnet werde. Nachdem die Akte am 2.3.2021 bei der Staatsanwaltschaft in den Rücklauf gelangte, stellte diese das Verfahren mit Verfügung vom 3.3.2021 gem. § 170 Abs. 2 StPO ein. Im Anschluss sandte die Staatsanwaltschaft die Akte an das AG zur Entscheidung über den Pflichtverteidigerantrag.
Das AG Amberg bestellte dem Beschuldigten mit Beschl. v. 8.3.2021 den Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger. Aus den Gründen ist ersichtlich, dass dies zur Wahrnehmung des Akteneinsichtsrechts erfolgte. Gegen diesen der Staatsanwaltschaft am 9.3.2021 zugestellten Beschluss legte sie noch am gleichen Tag sofortige Beschwerde ein und beantragte, den angefochtenen Beschluss aufzuheben. Mit Beschl. v. 8.4.2021 hat das LG auf die sofortige Beschwerde hin den Beschl. v. 8.3.2021 aufgehoben und lehnte die Beiordnung des Rechtsanwalts als Pflichtverteidiger ab.
Der Rechtsanwalt hat nun gegenüber der Staatskasse seine Pflichtverteidigergebühren geltend gemacht. Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat den Vergütungsfestsetzungsantrag zurückgewiesen. Die hiergegen erhobene Erinnerung hat das AG zurückgewiesen (vgl. AGS 2022, 506). Die hiergegen eingelegte Beschwerde des Rechtsanwalts hatte beim LG keinen Erfolg.
II. Keine Vergleichbarkeit mit nachträglicher Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung
Das LG geht ebenfalls davon aus, dass ein Vergütungsanspruch des Rechtsanwalts gegenüber der Staatskasse nicht besteht. Zur Vermeidung von Wiederholungen bezieht es sich auf die Ausführungen im Beschl. des AG v. 12.10.2022 (AG Amberg, a.a.O.) und führt ergänzend aus:
Zwar erhalte nach § 48 Abs. 6 RVG der Rechtsanwalt, der in Angelegenheiten nach den Teilen 4 bis 6 VV im ersten Rechtszug bestellt oder beigeordnet werde, die Vergütung auch für seine Tätigkeit vor dem Zeitpunkt seiner Bestellung, in Strafsachen einschließlich seiner Tätigkeit vor Erhebung der öffentlichen Klage und in Bußgeldsachen einschließlich der Tätigkeit vor der Verwaltungsbehörde. Vorliegend sei aber die Pflichtverteidigerbestellung auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft hin aufgehoben worden. Das LG habe die Voraussetzungen für eine Beiordnung nach Abschluss des Ermittlungsverfahrens für nicht gegeben angesehen. Es könne deshalb nicht von einer erfolgten Pflichtverteidigerbestellung i.S.d. § 48 Abs. 6 RVG ausgegangen werden. Der vorliegende Fall sei auch nicht mit den Fällen vergleichbar, bei denen es nachträglich zu einer Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung, z.B. durch Entpflichtung, Widerruf oder Zurücknahme, gekommen sei. Denn in diesen Fällen habe eine (rechtskräftige) Pflichtverteidigerbestellung u.U. schon mehrere Wochen angedauert. Erst nachträglich sei dann eine Beendigung der Pflichtverteidigerbestellung erfolgt.
Die Pflichtverteidigerbestellung sei nunmehr seit dem 1.1.2020 nach § 142 Abs. 7 StPO nur noch mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar. Der Gesetzgeber habe mit Einführung der sofortigen Beschwerde das Ziel verfolgt, schnell Klarheit über die Bestellung zu schaffen und das weitere Verfahren nicht mit Fragen über die Rechtmäßigkeit der Bestellung oder deren Ablehnung zu belasten. Die Sachlage sei somit im vorliegenden Fall, also im Fall einer Aufhebung der Bestellung im Rahmen einer sofortigen Beschwerde, völlig anders als in den Fällen, in denen nachträglich eine Aufhebung der rechtskräftigen Bestellung erfolge. Dies gelte umso mehr, als vorliegend der Rechtsanwalt ausschließlich vor der (aufgehobenen) Pflichtverteidigerbestellung tätig geworden und nach dem Beschluss des AG keinerlei Tätigkeiten mehr in Bezug auf das bereits eingestellte Ermittlungsverfahren entfaltet habe.
III. Weitere Beschwerde
Das LG hat die weitere Beschwerde zugelassen, da die Sache grundsätzliche Bedeutung habe (§§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 6 S. 1 RVG). Eine Sache habe grundsätzliche Bedeutung, wenn eine klärungsbedürftige Frage zu entscheiden sei,...