1. Die Frage, ob auch im straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren bei der Bemessung der anwaltlichen Gebühren generell von der Mittelgebühr auszugehen ist oder nicht, ist in der Rspr. umstritten. Sie ist aber mit der wohl h.M. zu bejahen (vgl. dazu und wegen der Einzelheiten eingehend Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldverfahren, 6. Aufl., 2021, Vorbem. 5 VV Rn 54 ff. mit zahlreichen Nachweisen aus der Rspr.; AnwK-RVG/N. Schneider, 9. Aufl., 2021, Vor VV Teil 5 Rn 54 ff.).
2. Jedenfalls ist die Mittelgebühr aber dann gerechtfertigt, wenn wie hier einem Betroffene, der offenbar beruflich auf die Fahrerlaubnis angewiesen ist, die Eintragung eines – weiteren – Punktes in das FAER droht. Denn für ihn hat das Verfahren erhebliche Bedeutung, sodass die Einordnung des Verfahrens als zumindest durchschnittlich und die Mittelgebühr rechtfertigend zwingend ist.
3. Auch im Bußgeldverfahren ist für die Bemessung der anwaltlichen Gebühren eine Gesamtabwägung der Kriterien des § 14 Abs. 1 S. 1 RVG erforderlich (vgl. dazu Burhoff/Volpert/Burhoff, a.a.O., Teil A Rn 1756 ff.; s. i.Ü. auch Gerold/Schmidt/Mayer, RVG, 25. Aufl., 2021, § 14 Rn 15 ff.; Enders, JurBüro 2004, 459; Lissner, RVGreport 2013, 155 ff.; Jungbauer, DAR 2014, 355). Darüber hinaus kann es in straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldsachen ankommen auf folgende Umstände (dazu auch Burhoff/Volpert/Burhoff, a.a.O.; Vorbem. 5 VV Rn 54 ff. mit Checkliste und Rechtsprechungs-ABC; AnwK-RVG/N. Schneider, a.a.O.):
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Der Mandant ist auf die Fahrerlaubnis beruflich angewiesen (vgl. u.a. LG Halle RVGreport 2016, 412; LG Itzehoe, Beschl. v. 9.10.2018 – 2 Qs 46/18, RVGreport 2019, 10; LG Kiel zfs 2007, 106 m. zust. Anm. Hansens = AGS 2007, 140 = RVGreport 2007, 24; LG Saarbrücken VRR 2013, 39 = RVGreport 2013, 53 = StRR 2013, 315; AG Frankfurt zfs 1992, 209; AG Grimma VRR 2012, 323 [Ls.]; AG Ratingen, Beschl. v. 25.11.2022 – 20 OWi 413/21, AGS 2023, 27; AG Viechtach AGS 2007, 83; Beschl. v. 8.7.2019 – 6 II OWi 215/19, RVGreport 2019, 412), |
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allgemein: ein Fahrverbot droht (LG Berlin, Beschl. v. 22.3.2012 – 517 Qs 5/12; LG Halle RVGreport 2016, 412; LG Kiel, Beschl. v. 11.1.2006 – 46 Qs-OWi 31/05 [Taxifahrer]; LG Köln, Beschl. v. 3.8.2019 – 323 Qs 87/19, AGS 2019, 503 = RVGreport 2020, 69; AG Bühl NZV 2009, 401; AG Chemnitz AGS 2005, 431; AG Dresden AGS 2010, 431; AG Frankenthal VRR 2005, 280 = RVGreport 2005, 271 = AGS 2005, 292; AG Frankfurt zfs 1992, 209; AG Friedberg, Urt. v. 8.2.2013 – 2 C 1418/12 [12]; AG München AGS 2005, 430 = RVGreport 2005, 381; AG Ratingen, Beschl. v. 25.11.2022 – 20 OWi 413/21, AGS 2023, 27), |
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mehrere Verkehrsordnungswidrigkeiten, |
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(hoher) Sachschaden, |
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Entzug der Fahrerlaubnis droht wegen eines "beharrlichen Verstoßes", da bereits mehrere Voreintragungen vorliegen (LG Halle RVGreport 2016, 412; AG München AGS 2005, 430 = RVGreport 2005, 381), |
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umfangreiche Vorbereitung der Hauptverhandlung, z.B. durch Gespräche mit Sachverständigen oder wegen der Vorbereitung von Beweisanträgen (AG Pinneberg AGS 2005, 552; AG München AGS 2005, 430 = RVGreport 2005, 381; AG Saarbrücken RVGreport 2006, 181 = AGS 2006, 126), |
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Auswertung von Sachverständigengutachten, z.B. zur Täteridentifizierung (LG Chemnitz RVGreport 2016, 297 für Sachverständigengutachten zur Messung und zur Identifizierung des Betroffenen als Fahrer), |
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schwierige Verjährungsfragen, |
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Die Eintragung im FAER droht (dazu z.B. – z.T. zum alten Recht – LG Halle RVGreport 2016, 412 [Entziehung nach dem FAER droht]; LG Neuruppin, Beschl. v. 30.1.2015 – 11 Qs 60/14 [bei 11 Punkten im "VZR" erhöhte Bedeutung, wenn weitere drei Punkte drohen]; AG Bad Segeberg VRR 2010, 240 [drei Punkte]; AG Eilenburg JurBüro 2010, 35 [drei Punkte]; auch noch AG Cloppenburg RVGreport 2011, 295 = VRR 2011, 478; AG München AGS 2005, 430 = RVGreport 2005, 381; AG Rudolstadt VRR 2011, 479 = RVGreport 2012, 24 [drei Punkte im VZR]. |
Rechtsanwalt Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg
AGS 3/2023, S. 111 - 113