§ 14 RVG
Leitsatz
Unabhängig von der Frage, ob Straßenverkehrsordnungswidrigkeiten generell oder in bestimmten Fällen zu einer geringeren Gebühr führen müssen, weil es sich um unterdurchschnittliche Angelegenheiten handelt, ist das jedenfalls dann nicht der Fall, wenn die Eintragung eines Punktes im Fahreignungsregister droht.
AG Kaufbeuren, Urt. v. 3.3.2023 – 4 C 1117/22
I. Sachverhalt
Gestritten wird um die von der Rechtsschutzversicherung nach dem zwischen den Parteien bestehenden Rechtsschutzversicherungsvertrag zu zahlenden Gebühren und Auslagen eines Verkehrsordnungswidrigkeitenverfahrens. Die Rechtsschutzversicherung hatte dem Kläger als Betroffenen eines gegen ihn laufende Verkehrsordnungswidrigkeitenverfahren wegen eines Geschwindigkeits- und Handy-Verstoßes Deckungszusage erteilt. Bei dem Kläger vorgeworfenen Verstoß handelte es sich um einen Verkehrsverstoß, der mit der Eintragung eines Punktes ins Fahreignungsregister (FAER) geahndet wird. Die Rechtsanwältin des Klägers hatte für die Gebühren der Nrn. 5100, 5103, 5109 und 5110 VV jeweils die Mittelgebühr geltend gemacht. Diese sind von der beklagten Rechtsschutzversicherung nicht gezahlt worden. Die Klage des Klägers hatte Erfolg.
II. Ansatz der Mittelgebühr
1. Allgemeine Überlegung
Aufgrund des Rechtsschutzversicherungsvertrags sei, so das AG, die Beklagte verpflichtet, die hierdurch angefallenen Rechtsanwaltsgebühren (abzüglich der Selbstbeteiligung) an den Kläger zu zahlen. Streitig sei zwischen den Parteien nur, ob die Rechtsanwältin des Klägers die jeweilige Mittelgebühr habe ansetzen dürfen oder ob eine niedrigere Gebühr anzusetzen gewesen wäre. Gem. § 14 Abs. 1 S. 1 RVG habe bei Rahmengebühren der Rechtsanwalt die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers, nach billigem Ermessen zu bestimmen. Die Frage könne das AG selbst aufgrund der sich aus der Akte ergebenden Umstände des Falles bestimmen, sodass ein Gutachten der Rechtsanwaltskammer nicht habe eingeholt werden müssen. Die in § 14 Abs. 3 RVG festgeschriebene Verpflichtung betreffe nur das Verfahren zwischen dem Rechtsanwalt und dem Mandanten und sei in Bezug auf einen Dritten nur optional (vgl. HK-RVG/Klaus Winkler, 8. Aufl., 2021, § 14 Rn 67).
2. Konkreter Fall
Das AG hat sodann den Ansatz jeweils der Mittelgebühr nicht beanstandet. Unabhängig von der Frage, ob Straßenverkehrsordnungswidrigkeiten generell oder in bestimmten Fällen zu einer geringeren Gebühr führen müssen, weil es sich um unterdurchschnittliche Angelegenheiten handelt, sei dies hier bereits deshalb nicht der Fall, weil unstreitig die Eintragung eines Punktes im FAER gedroht habe (so z.B. BeckOK OWiG/L. Bücherl, 37. Ed., 1.1.2023, § 14 RVG; HK-RVG/Klaus Winkler, a.a.O., § 14 Rn 25). Das könne, wenn nicht unmittelbar, so zumindest mittelbar für die Zukunft Auswirkungen auf die vom Kläger dringend benötigte Fahrerlaubnis haben. Bereits aus diesem Grund liege im konkreten Fall keine gebührenrechtlich unterdurchschnittlich zu bewertende Angelegenheit vor, sodass das Ansetzen der Mittelgebühr gerechtfertigt gewesen sei.
III. Bedeutung für die Praxis
1. Die Frage, ob auch im straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren bei der Bemessung der anwaltlichen Gebühren generell von der Mittelgebühr auszugehen ist oder nicht, ist in der Rspr. umstritten. Sie ist aber mit der wohl h.M. zu bejahen (vgl. dazu und wegen der Einzelheiten eingehend Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldverfahren, 6. Aufl., 2021, Vorbem. 5 VV Rn 54 ff. mit zahlreichen Nachweisen aus der Rspr.; AnwK-RVG/N. Schneider, 9. Aufl., 2021, Vor VV Teil 5 Rn 54 ff.).
2. Jedenfalls ist die Mittelgebühr aber dann gerechtfertigt, wenn wie hier einem Betroffene, der offenbar beruflich auf die Fahrerlaubnis angewiesen ist, die Eintragung eines – weiteren – Punktes in das FAER droht. Denn für ihn hat das Verfahren erhebliche Bedeutung, sodass die Einordnung des Verfahrens als zumindest durchschnittlich und die Mittelgebühr rechtfertigend zwingend ist.
3. Auch im Bußgeldverfahren ist für die Bemessung der anwaltlichen Gebühren eine Gesamtabwägung der Kriterien des § 14 Abs. 1 S. 1 RVG erforderlich (vgl. dazu Burhoff/Volpert/Burhoff, a.a.O., Teil A Rn 1756 ff.; s. i.Ü. auch Gerold/Schmidt/Mayer, RVG, 25. Aufl., 2021, § 14 Rn 15 ff.; Enders, JurBüro 2004, 459; Lissner, RVGreport 2013, 155 ff.; Jungbauer, DAR 2014, 355). Darüber hinaus kann es in straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldsachen ankommen auf folgende Umstände (dazu auch Burhoff/Volpert/Burhoff, a.a.O.; Vorbem. 5 VV Rn 54 ff. mit Checkliste und Rechtsprechungs-ABC; AnwK-RVG/N. Schneider, a.a.O.):
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Der Mandant ist auf die Fahrerlaubnis beruflich angewiesen (vgl. u.a. LG Halle RVGreport 2016, 412; LG Itzehoe, Beschl. v. 9.10.2018 – 2 Qs 46/18, RVGreport 2019, 10; LG Kiel zfs 2007, 106 m. zust. Anm. Hansens = AGS 2007, 140 = RVGreport 2007, 24; LG Saarbrücken VRR 2013, 39 = RVGreport 2013, 53 = StRR 2013, 315; AG Frankfu... |