§ 8 StrEG
Leitsatz
- Die Grundentscheidung des Strafgerichts nach § 8 Abs. 2 StrEG muss die Art und ggf. den Zeitraum der Strafverfolgungsmaßnahme bezeichnen, für die Entschädigung zugesprochen wird. Eine Ergänzung der Entschädigungsentscheidung im Betragsverfahren kommt nur ausnahmsweise in Betracht.
- Wenn das Gericht die Aussetzung einer Strafe (§ 56 StGB) oder eines Strafrestes (§ 57 StGB) widerruft, aber die Widerrufsentscheidung später abgeändert wird, gibt es für eine Teilvollstreckung zwischen Widerruf und Aufhebung keine Entschädigung nach dem StrEG, selbst wenn das Strafgericht mit rechtskräftigem Beschluss dem Grunde nach eine Entschädigung "für die erlittene Strafhaft" zugesprochen hat.
LG Karlsruhe, Beschl. v. 23.10.2023 – 11 O 19/23
I. Sachverhalt
Der Antragsteller begehrt Prozesskostenhilfe (PKH) für eine Klage auf Strafverfolgungsentschädigung. Er ist durch inzwischen rechtskräftiges amtsgerichtliches Urteil wegen Vollstreckungsvereitelung und Bankrott zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 11 Monaten, ausgesetzt zur Bewährung auf drei Jahre, verurteilt worden. Das Urteil wurde am 21.3.2017 nach Rücknahme der hiergegen eingelegten Berufungen der Verteidigung und der Staatsanwaltschaft rechtskräftig.
Nachdem der Verurteilte die Bewährungsauflagen nicht erfüllt hat, hat das AG die Bewährung widerrufen. Die Vollstreckung der Strafhaft hat ab dem 14.10.2020 begonnen. Mit Beschl. v. 17.2.2021 hat das AG eine Anhörung nach § 33a StPO gewährt und die Vollstreckung unterbrochen. Der Verurteilte wurde noch am selben Tag aus der Strafhaft entlassen. Mit Beschl. v. 28.7.2021 hat das AG den Widerrufsbeschluss aufgehoben und die ausgesetzte Strafe erlassen.
Mit Beschl. v. 27.5.2022 hat das AG … "für die erlittene Strafhaft" eine Entschädigung zugesprochen. Mit Schreiben vom 31.10.2022 beantragte der Verurteilte eine Entschädigung für die erlittene Strafhaft, und zwar folgende Einzelpositionen Strafhaft (127 Tage zu je 75,00 EUR) 9.525,00 EUR; Anwaltskosten Vollstreckungsverfahren 799,48 EUR, Anwaltskosten Entschädigungsverfahren 1.054,10 EUR, insgesamt also 11.378,58 EUR. Für eine Klage über diese Summe ist die PKH beantragt worden. Der Antrag hatte keinen Erfolg.
II. Formulierung der Grundentscheidung
Das LG hat die hinreichende Aussicht auf Erfolg für die beabsichtigte Rechtsverfolgung verneint (§ 114 ZPO). Aus der Grundentscheidung des AG ergebe sich nicht, dass der Verurteilte für eine bestimmte Anzahl von Hafttagen – geltend gemacht sind 127 Tage – zu entschädigen sei. Der Tenor und die Gründe der Entscheidung würden zur Länge der "erlittenen Strafhaft" schweigen. Die Grundentscheidung des Strafgerichts müsse indes nach § 8 Abs. 2 StrEG die Art und ggf. den Zeitraum der Strafverfolgungsmaßnahme bezeichnen, für die Entschädigung zugesprochen wird. Eine Ergänzung der Entschädigungsentscheidung im Betragsverfahren komme allenfalls dann in Betracht, wenn sich die fehlenden Angaben zum Entschädigungszeitraum aus den Gründen der die Entschädigungspflicht feststellenden Entscheidung oder ihrem unmittelbaren Aktenzusammenhang ohne jeden Zweifel eindeutig entnehmen lassen (OLG Düsseldorf JMBl NW 1986, 30). Sei dies – wie hier – nicht möglich und bleibe der Zeitraum offen, für den eine Entschädigung zu gewähren sei, scheitere der Entschädigungsanspruch im Betragsverfahren insgesamt an der Unvollständigkeit der Grundentscheidung (OLG Düsseldorf JMBl NW 1987, 198: Urt. v. 21.5.1987 – 18 U 249/86; v. 5.11.1987 – 18 U 86/87; v. 23.11.1989 – 18 U 137/89), deren fristgerechte Ergänzung bei der zuständigen Stelle nicht beantragt wurde.
III. Keine Entschädigung in der Strafvollstreckung
I.Ü. könne – so das LG – weder der amtsgerichtlichen Grundentscheidung noch dem Klageentwurf noch sonstigen Aktenbestandteilen entnommen werden, dass der Verurteilte überhaupt "durch eine strafgerichtliche Verurteilung einen Schaden erlitten habe", wie § 1 Abs. 1 StrEG dies voraussetzt. Denn wenn das Gericht die Aussetzung einer Strafe (§ 56 StGB) oder eines Strafrestes (§ 57 StGB) widerrufe, aber die Widerrufsentscheidung später abgeändert werde, gebe es für eine Teilvollstreckung zwischen Widerruf und Aufhebung keine Entschädigung nach dem StrEG (vgl. KG, Beschl. v. 25.2.2005 – 5 Ws 67/05; MüKo StPO/Kunz, 1. Aufl., 2018, StrEG § 1 Rn 29). § 1 Abs. 1 StrEG setze vielmehr voraus, dass eine rechtskräftige Verurteilung später fortfalle oder gemildert werde. Beide Voraussetzungen seien nicht gegeben. Die hier zugrunde liegende strafrechtliche Verurteilung habe in dem genannten Sinne keine Korrektur erfahren (vgl. KG, a.a.O.).
Das BVerfG habe eine Verfassungsbeschwerde gegen die Versagung der Entschädigung bei einem vergleichbaren Sachverhalt nicht zur Entscheidung angenommen (BVerfG, Beschl. v. 24.7.1973 – 2 BvR 440/73, n.v.). Der deswegen angerufene EGMR habe die Beschwerde für nicht begründet erklärt und eine Entschädigung nach Art. 5 Abs. 5 EMRK ebenfalls abgelehnt, weil der Betroffene nach der Verurteilung durch ein zuständiges Gericht rechtmäßig in Haft gehalten worden sei (vgl. EGMR, Beschl. v. 9.3.1978, Appl. No. 7629/76).
Eine analoge Anwendung der Norm auf...