§§ 137, 402 StPO
Leitsatz
- Das Strafprozessrecht sieht eine Fortführung der Nebenklage durch Ange-hörige nicht vor. Ein "Eintreten" in die Nebenklage oder eine "Fortführung" derselben Nebenklage durch Angehörige des verstorbenen Nebenklägers ist nicht möglich.
- Eine Anschlusserklärung ist nach dem Versterben des einzigen Nebenklägers nicht mehr möglich, wenn nur dieser Rechtsmittel gegen ein erstinstanzliches Urteil eingelegt hatte.
- Die zu Lebzeiten erteilte Vertretungsvollmacht wirkt über den Tod des Vollmachtgebers hinaus fort und ermächtigt den Vertreter jedenfalls zur Stellung von Kosten- und Auslagenerstattungsanträgen sowie zur Einlegung von Beschwerden gegen ablehnende Entscheidungen.
KG, Beschl. v. 22.1.2024 – 3 Ws 66-67/23
I. Sachverhalt
Das AG hat den Angeklagten vom Vorwurf der fahrlässigen Körperverletzung freigesprochen. Dem Angeklagten war vorgeworfen worden, als Autofahrer die Vorfahrt des mit einem Fahrrad fahrenden späteren Nebenklägers missachtet und diesem hierdurch schwere Verletzungen zugefügt zu haben, die zu einer gänzlichen Lähmung führten. Gegen das freisprechende Urteil hat der durch seinen Rechtsanwalt vertretene Nebenkläger Berufung eingelegt.
Noch bevor es zur Berufungshauptverhandlung gekommen ist, ist der Nebenkläger am 24.6.2023 verstorben. Der Rechtsanwalt hat dies dem LG mitgeteilt und zugleich – schriftlich – beantragt, den Angeklagten nunmehr wegen "Körperverletzung mit Todesfolge bzw. fahrlässiger Körperverletzung zu verurteilen". Hiernach hat der Rechtsanwalt die Vertretung des Sohnes des verstorbenen Nebenklägers angezeigt und erklärt, dass "dieser die Nebenklage nach dem Tod des Nebenklägers fortführt". Weiter hat er beantragt, diesen "als Nebenkläger zuzulassen in dem Sinne, dass dieser die Position des verstorbenen Nebenklägers übernimmt und die Berufung mit den in der Berufungsschrift gestellten Anträgen fortführt".
Das LG hat festgestellt, dass die Anschlusserklärung durch den Tod des Nebenklägers seine Wirkung verloren habe. Durch denselben Beschluss sind dem verstorbenen Nebenkläger die Kosten der Berufung mit der Folge auferlegt worden, dass sie aus dessen Nachlass zu erstatten seien. Der Rechtsanwalt hat "sofortige Beschwerde" gegen den gesamten Beschluss eingelegt. Das Rechtsmittel stellt sich nach Auffassung des KG als sofortige Beschwerde des verstorbenen Nebenklägers gegen die Kostenentscheidung sowie als Beschwerde des Sohnes gegen die Versagung der Zulassung als Nebenkläger dar. Beide Rechtsmittel blieben ohne Erfolg.
II. Keine Fortführung der Nebenklage durch Angehörige
Zur Sache führt das KG aus, dass ein "Eintreten" in die Nebenklage oder eine Fortführung durch Angehörige des verstorbenen Nebenklägers durch die StPO nach den Änderungen durch das Opferschutzgesetz vom 18.12.1986, das die Verweisung auf die Vorschriften der Privatklage aufgehoben habe, nicht mehr vorgesehen ist (vgl. BGH NStZ 2009, 174; KK-Allgayer, StPO, 9. Aufl., 2023, § 402 Rn 4; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., 2023, § 402 Rn 4). Auch habe sich der Sohn des verstorbenen Nebenklägers nach dem Tod des Nebenklägers nicht mehr aus eigenem Recht wirksam der erhobenen öffentlichen Anklage anschließen können. Zwar stehe diese Befugnis im Grundsatz auch dem Kind eines durch eine rechtswidrige Tat Getöteten zu (§ 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO). Dies gelte jedoch dann nicht, wenn der Verstorbene der öffentlichen Klage bereits, noch zu Lebzeiten, als Nebenkläger angeschlossen hatte. Denn nach § 402 StPO verliere die Anschlusserklärung durch den Tod des Nebenklägers ihre Wirkung.
III. Sofortige Beschwerde gegen Kostenentscheidung
1. Zulässigkeit
Die sofortige Beschwerde des verstorbenen Nebenklägers gegen die vom LG für das Berufungsverfahren getroffene Kostengrundentscheidung sei, so das KG, zulässig. Dass der Nebenkläger verstorben sei, stehe der Zulässigkeit des Rechtsmittels nicht entgegen. Zwar sei umstritten, ob die zu Lebzeiten erteilte Vertretungsvollmacht über den Tod des Vollmachtgebers hinaus fortwirke und den Vertreter jedenfalls zur Stellung von Kosten- und Auslagenerstattungsanträgen sowie zur Einlegung von Beschwerden gegen ablehnende Entscheidungen ermächtige (bejahend OLG Hamburg NJW 1971, 2183; 1983, 464; OLG Celle NJW 2002, 3720; OLG Frankfurt NStZ-RR 2002, 246; OLG Hamm NJW 1978, 177; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., Vor § 137 Rn 7; Kühl, NJW 1978, 977, 980 [allesamt den Verteidiger betreffend]; a.A. OLG Hamburg wistra 2004, 39).
Das KG geht jedoch mit der wohl h.M. von einem solchen Fortbestehen aus. Nach § 168 BGB bestimme sich das Erlöschen der Vollmacht nämlich nach dem zugrunde liegenden Rechtsverhältnis, hier also nach dem zwischen dem Nebenkläger und seinem Vertreter bestehenden Geschäftsbesorgungsvertrag (§ 675 BGB). Auf diesen sei § 672 BGB anzuwenden, wonach der Auftrag im Zweifel nicht durch den Tod des Auftraggebers erlösche. Dieses Ergebnis sei hier auch sachgerecht, weil nach dem Tod des Nebenklägers noch über die Verfahrenskosten und die Tragung der notwendigen Auslagen zu entscheiden gewesen seien. Die durch diese Konstellation erzeugte Interessenlage lege es nahe, dass der Vertreter die Interessen de...