Mal wieder eine Pauschgebührentscheidung, bei der man die Richtigkeit der Ausführungen des KG letztlich abschließend nicht beurteilen kann. Dafür müsste man die Einzelumstände des Verfahrens und auch die Antragsbegründung noch besser kennen. M.E. spricht jedoch einiges dafür, dass das KG nicht richtig liegt.
1. Das KG geht schon vom nach meiner Auffassung falschen Vergleichsmaßstab aus, wenn es u.a. darauf abstellt, dass sich für die Gewährung einer Pauschgebühr nach § 51 RVG die anwaltliche Mühewaltung "von sonstigen – auch überdurchschnittlichen Sachen – in exorbitanter Weise abheben" müsse. Diese Formulierung stammt aus der Rspr. des BGH, sie ist danach von allen OLG aufgegriffen worden, was aber nicht bedeutet, dass diese Sicht richtig ist. Darauf habe ich bereits mehrfach hingewiesen (vgl. u.a. Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl., 2021, § 51 Rn 11 ff. m.w.N.). Durch das Abstellen auf ein "exorbitantes Abweichen" wird nämlich der Vergleichsmaßstab so verschoben, dass die Gewährung von Pauschgebühren praktisch ausgeschlossen ist. Das war aber nicht das Anliegen des Gesetzgebers bei Schaffung des § 51 RVG. Denn auch, wenn die (neue) Anspruchsvoraussetzung "Unzumutbarkeit" eingeführt worden ist, sollte es noch Pauschgebühren geben. Der BGH und die OLG scheinen es aber besser zu wissen.
2. Falsch sind m.E. auch die Ausführungen des KG zur Zulässigkeit der Kompensation. Diese ist – entgegen der Auffassung des KG, die allerdings zum Teil auch von anderen OLG vertreten wird – unzulässig. Das gilt vor allem, wenn – wie hier – eine auf Verfahrensabschnitte beschränkte Pauschgebühr geltend gemacht wird. Denn durch einen solchen "beschränkten" Antrag macht der bestellte/beigeordnete Rechtsanwalt gerade deutlich, dass er mit den gesetzlichen Gebühren für die Verfahrensabschnitte, für die eine Pauschgebühr nicht geltend gemacht wird, zufrieden, weil angemessen honoriert, ist. Dann kann man aber nicht diese Gebühren heranziehen, um ggf. eine Pauschgebühr für einen anderen Verfahrensabschnitt abzulehnen. Denn diese Gebühren stehen gar nicht zur Überprüfung an.
Mit diesem Einwand korrespondieren meine Bedenken gegen die Überlegung des KG, dass "der Antragsteller durch die große Anzahl der jeweils einzeln vergüteten 400 Verhandlungstage besser gestellt worden [ist] als in einem durchschnittlichen Verfahren". Ja, aber es darf doch nicht übersehen werden, dass er für die dafür gewährten gesetzlichen Gebühren an 400 Hauptverhandlungstermine teilgenommen hat. Man kann dann doch diese für erbrachten Zeitaufwand erzielte "Einnahme" nicht heranziehen, um eine höhere Pauschgebühr abzulehnen. Das ist m.E. widersprüchlich und entwertet die Entlohnung für die Teilnahme an den Hauptverhandlungsterminen.
3. Was kann man gegen einen solchen Beschluss tun? Nun, ein Rechtsmittel gegen die Entscheidung des OLG gibt es nicht (vgl. Burhoff/Volpert/Burhoff, a.a.O., § 51 Rn 86 f.). Man kann allerdings Gegenvorstellung erheben. Sie wird aber kaum Erfolg haben. Es bleibt also nur die Verfassungsbeschwerde. Allerdings kann man auch insoweit zweifeln, ob sich das BVerfG der Sache annehmen wird, da es ja einen Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG feststellen müsste. Größere Chancen hat hier vielleicht der Weg an das Landesverfassungsgericht. Zuständig wäre der VerfGH Berlin, der ja gerade erst vor kurzem das KG zweimal zur Ordnung gerufen hat (vgl. NStZ-RR 2020, 190 = RVGreport 2020, 299; Beschl. v. 12.5.2021 – VerfGH 175/20, AGS 2021, 360 = NStZ-RR 2021, 231). Allerdings hält auch der VerfGH die Kompensation für zulässig (VerfGH Berlin NStZ-RR 2020, 190 = RVGreport 2020, 299). Also: Das Ergebnis ist offen.
Rechtsanwalt Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg
AGS 3/2024, S. 114 - 117