§ 51 RVG
Leitsatz
Zur Zulässigkeit der sog. Kompensation bei der Bewilligung einer Pauschgebühr.
KG, Beschl. v. 28.11.2023 – 1 ARs 17/22
I. Sachverhalt
Das vor einer Schwurgerichtskammer des LG Berlin anhängige Strafverfahren mit dem Vorwurf des Mordes richtete sich ursprünglich gegen elf Angeklagte, nach einer Verfahrensabtrennung am 6.7.2017 gegen zehn Angeklagte und in einem Trennverfahren gegen den elften Angeklagten. Die erstinstanzlichen Verfahren wurden durch die Urteile v. 1.10.2019 (Ursprungsverfahren) und v. 18.12.2019 (Trennverfahren) beendet. Der Antragsteller meldete sich am 27.10.2014 für die Schwester des Tatopfers, die als Nebenklägerin zugelassen und der Antragsteller am 27.10.2014 als Vertreter bestellt wurde. In dieser Funktion war er sowohl im Ursprungs- als auch im Trennverfahren tätig. An gesetzlichen Gebühren hat der Antragsteller bisher insgesamt 197.424,00 EUR für die Grundgebühr, die Verfahrensgebühr (erster Rechtszug) und die Terminsgebühren (erster Rechtszug) erhalten. Er hat nun einen auf § 51 RVG gestützten Antrag auf Festsetzung einer Pauschvergütung von jeweils 20.000,00 EUR anstelle der gesetzlichen Grund- und Verfahrensgebühren (erster Rechtszug) und von 304.152,00 EUR anstelle der Terminsgebühren (erster Rechtszug), insgesamt von 344.152,00 EUR gestellt.
Das KG hat unter Zurückweisung des Antrags i.Ü. anstelle der Verfahrensgebühr nach Nr. 4118 VV und der Terminsgebühren nach Nrn. 4120 und 4122 VV eine Pauschgebühr i.H.v. 211.056,00 EUR bewilligt.
II. Anspruchsvoraussetzungen
Nach Auffassung des KG sind die Voraussetzungen (der Ausnahmevorschrift) des § 51 Abs. 1 RVG nur hinsichtlich der mit der Verfahrensgebühr Nr. 4118 VV und der Terminsgebühren nach Nrn. 4120 und 4122 VV, dort für den Zeitraum der parallel laufen Hauptverhandlungen in den Ursprungs- und Trennverfahren, gegeben.
1. Tatbestandsmerkmal Unzumutbarkeit/Kompensation
Der Gesetzgeber habe durch das in § 51 Abs. 1 RVG aufgenommene Kriterium der Unzumutbarkeit dessen Anwendungsbereich einschränken und den Ausnahmecharakter dieser Regelung zum Ausdruck bringen wollen (BT-Drucks 15/1971, 291). Unzumutbar sei die sonst maßgebliche Gebühr, wenn sie augenfällig unzureichend und unbillig ist. Es reiche nicht, dass ein Verfahren besonders umfangreich oder besonders schwierig gewesen sei (vgl. KG, Beschl. v. 20.8.2007 – 1 ARs 54/07). Die anwaltliche Mühewaltung müsse sich vielmehr von sonstigen – auch überdurchschnittlichen – Sachen in exorbitanter Weise abheben (vgl. BGH, Beschl. v. 1.6.2015 – 4 StR 267/11, AGS 2016, 5; KG, Beschl. v. 9.11.2015 – 1 ARs 20/15). Ob solche Erschwernisse vorgelegen haben, richte sich nach der st. Rspr. des Senats auch bei einem auf einzelne Verfahrensabschnitte beschränkten Antrag stets danach, ob die dem Verteidiger/Nebenklägervertreter für seine Tätigkeit im gesamten Verfahren gewährte Regelvergütung insgesamt noch zumutbar ist oder ob ihm wegen besonderer Schwierigkeiten in einem Verfahrensabschnitt mit der dafür vorgesehenen Gebühr ein ungerechtfertigtes Sonderopfer abverlangt werde. Dabei könne der erhöhte Arbeits- und Zeitaufwand in einem Verfahrensabschnitt grds. durch eine unterdurchschnittliche Inanspruchnahme in anderen Teilen mit der Folge kompensiert werden, dass mit den im Vergütungsverzeichnis des RVG bestimmten Gebühren in der Summe die erbrachte Tätigkeit des Rechtsanwalts noch ausreichend bezahlt wird (vgl. u.a. KG, Beschl. v. 12.10.2018 – 1 ARs 8/17).
2. Anwendung auf den Fall
Die Inanspruchnahme des im gerichtlichen Hauptverfahren erstmals mit der Sache befassten Antragstellers sei – so das KG – mit den für das Verfahren des ersten Rechtszuges und die für die Wahrnehmung der Hauptverhandlungstermine in dem Zeitraum v. 8.11.2017 (dem Beginn der Hauptverhandlung in dem Trennverfahren) bis zum 1.10.2019 (der Urteilsverkündung im Ursprungsverfahren) gesetzlich vorgesehenen Gebühren, nicht hingegen mit der für die erstmalige Einarbeitung in die Sache gesetzlich vorgesehenen Gebühren, unzumutbar i.S.d. verfassungsgerichtlichen Rspr. (vgl. BVerfGE 68, 237) vergütet.
a) Erstmalige Einarbeitung
Einen hervorgehobenen Umfang oder besondere Schwierigkeiten rechtlicher oder tatsächlicher Art habe die Sache bei der erstmaligen Einarbeitung nicht aufgeworfen. Die bei der Übernahme des Mandates Ende Oktober 2014 erfolgte erstmalige Einarbeitung sei mit der Grundgebühr (Nr. 4100 VV) abgegolten. Die Antragsbegründung und der Akteninhalt rechtfertigen nach Ansicht des KG eine abweichende Auffassung nicht. Bei der erstmaligen Einarbeitung in die Sache, dem Erstgespräch mit der Mandantin und der damit einhergehenden Sachverhaltsermittlung sei der Antragsteller, was sowohl er als auch der Bezirksrevisor in ihren Ausführungen vernachlässigen, mit einem tatsächlich und rechtlich einfach gelagerten Sachverhalt konfrontiert gewesen. Mehrere Täter – so der Tatvorwurf – töteten den Bruder der späteren Nebenklägerin. Darüber hinausgehende konkrete Umstände seien für dieses Verfahrensstadium dem Vortrag des Antragstellers nicht zu entnehmen. Es seien keine Tatsach...