§ 51 RVG
Leitsatz
- Zur Bewilligung einer Pauschgebühr in einem Umfangsverfahren mit rund 300 Stehordnern Akten.
- Bei der Bewilligung einer Pauschgebühr (hier: in einem Staatsschutzverfahren) ist die Pauschgebühr i.d.R. unter Außerachtlassung der Terminsgebühren über eine Erhöhung der Grund- und Verfahrensgebühren zu bemessen.
- Die durch COVID-19 bzw. den Erreger SARS-CoV-2 bestehenden Einschränkungen sind bei der Bemessung einer Pauschgebühr ggf. zu berücksichtigen.
OLG Stuttgart, Beschl. v. 1.2.2024 – 5 - 2 StE 7/20
I. Sachverhalt
Der Rechtsanwalt ist (auswärtiger) Pflichtverteidiger in einem umfangreichen Verfahren beim Staatsschutzsenat des OLG. Er hatte sich mit Schreiben vom 16.4.2020 als Verteidiger des Angeklagten gemeldet und ist mit Verfügung des Vorsitzenden vom 4.1.2021 zum Pflichtverteidiger bestellt worden.
In dem Verfahren liegen 253 Band Stehordner Ermittlungsakten und sieben Nachlieferungen mit 27 Band Akten, 38 Band Gerichtsakten sowie Beiakten vor. Seit dem 13.4.2021 bis zum Erlass des Urteils durch das OLG am 30.11.2023 hat man insgesamt an 173 Tagen (haupt-)verhandelt. An gesetzlichen Gebühren sind bis zum 30.11.2023 122.911,00 EUR entstanden. Der Pflichtverteidiger hat mit Antrag vom 14.9.2022 die Bewilligung eines Vorschusses auf die Pauschgebühr gem. § 51 Abs. 1 S. 5 RVG beantragt. Die Bezirksrevisorin beim OLG Stuttgart hat am 30.3.2023 dazu Stellung genommen. Sie hat auf der Grundlage des Beschlusses des OLG Stuttgart vom 9.8.2022 (5-2 StR 7/20, AGS 2022, 405) die Gewährung eines Vorschusses befürwortet. Das OLG hat – durch den Einzelrichter – einen Vorschuss i.H.v. 226.703,00 EUR gewährt.
II. Besonderer Umfang / besondere Schwierigkeit
Das OLG geht unter Hinweis auf seinen Beschl. v. 9.8.2022 (AGS 2022, 405) von einem "besonderen Umfang" des Verfahrens aus. Es bedürfe keiner näheren Ausführungen, dass vorliegend ein solcher Fall gegeben sei und die gesetzlichen Gebühren von 122.911,00 EUR nicht hinreichend seien: 253 Band Stehordner Ermittlungsakten und sieben Nachlieferungen mit 27 Band Akten, 38 Band Gerichtsakten sowie Beiakten. Zwischen dem 13.4.2021 und dem 30.11.2023 sei an 173 Tagen verhandelt worden. Bereits dieser Umfang sei absolut außergewöhnlich und trage die Festsetzung einer Pauschgebühr. Dabei stelle der Senat entscheidend auf den Umfang der Sache mit der Messzahl Aktenbestand als zuverlässigstes, weil letztlich einzig wirklich objektivierbares Kriterium ab, während andere, wie Dauer und Schwierigkeit der Hauptverhandlungstermine, die Zahl der Angeklagten, der Abstimmungsbedarf unter den Verteidigern, der Besprechungsaufwand in und außerhalb der Hauptverhandlung sowie erhöhte rechtliche Schwierigkeiten in der Bearbeitung von Staatsschutzsachen nur schwer zu fassende Kriterien bleiben, die zudem immer wertender Betrachtung unterliegen, mithin fehlerbehaftet bleiben.
Zusammenfassend gelte, dass bereits aufgrund des Aktenumfanges von derzeit knapp 320 Stehordnern sowie elektronischer Daten ein Umfangsverfahren von herausragender Qualität vorliege. In tatsächlicher Hinsicht sei ein überschaubarer Zeitpunkt zwischen Sommer/Herbst 2019 und Februar 2020 mit einer allerdings beträchtlichen Anzahl handelnder Personen in den Blick zu nehmen. Rechtliche Schwierigkeiten seien vorhanden, sie bewegen sich allerdings im eher "klassischen" Feld eines Staatsschutzverfahrens mit Bezügen zum Allgemeinen Teilen des Strafgesetzbuchs.
Das OLG weist darauf hin, dass der Vergleich mit dem Senat mit ca. vier Richter-Arbeitskraftanteilen in diesem Verfahren Anhaltspunkt sein könne, doch habe der Senat zwölf Angeklagte in ihrer Person und ihrem Verfahrensbezug in den Blick zu nehmen, hatte und habe (zunächst) elf bestehende Haftbefehle zu jeder Zeit zu beachten und zu bewerten und schließlich das Verfahren, den Verfahrensgang und insbesondere das Beweisprogramm unter Beachtung der Anträge, Widersprüche und Stellungnahmen des Generalbundesanwalts sowie von 24 Verteidiger*innen in jeder Hinsicht zu gestalten. Dem standen pro Angeklagten zwei Verteidiger*innen gegenüber, die sich nicht gegenseitig vertreten, sondern als gleichwertige und sich ergänzende Verteidiger*innen gemeinsam dieses Verfahren zu bewältigen hatten – ein in jeder Hinsicht zu treffendes Verhältnis, das durchaus – insoweit durchaus dem Senat vergleichbar – arbeitsteiliges Vorgehen nicht nur ermöglicht, sondern notwendig gemacht hat und einem solchen gerade auch Rechnung tragen sollte. Die ab September 2021 durch die Terminierung entstandene Terminierungslücke an jedem Mittwoch sei dem Vor- und Nachbereitungsaufwand des Senats geschuldet gewesen. Freilich hätten auch die im Verfahren weiter tätigen Verfahrensbeteiligten – also Vertreter des Generalbundesanwalts und Verteidiger*innen – einen solchen, der jedoch angesichts der bereits dargestellten Unterschiede signifikant anders gewesen. Tagen mit einem intensiven Bezug zum eigenen Mandanten und daher intensiver Vorbereitung hätten völlig andere Tage gegenüber gestanden. Hinzu sei entscheidend gekommen, dass von jedem Ort aus mittels elektronischer Medien gear...