§§ 48 Abs. 4 S. 1 und 2, 56 Abs. 2 RVG; Nr. 7000 Nr. 1a) VV RVG

Leitsatz

  1. Bestimmt das Gericht im PKH-Bewilligungs- und Beiordnungsbeschluss einen von der PKH-Antragstellung abweichenden Zeitpunkt, erstreckt sich die Beiordnung nur auf die Tätigkeiten ab diesem Zeitpunkt.
  2. Diese zeitliche Begrenzung gilt auch für den Auslagenersatz.
  3. Nimmt der Rechtsanwalt vor diesem im PKH-Beiordnungsbeschluss genannten Zeitpunkt Akteneinsicht und fertigt in diesem Zusammenhang Kopien, ist der Auslagenersatz für diese Kopien nach Nr. 7000 Nr. 1a) VV nicht von der PKH-Bewilligung umfasst und daher nicht zu vergüten.

LSG München, Beschl. v. 11.8.2023 – L 12 SF 140/20

I. Sachverhalt

In dem vor dem SG Landshut anhängigen Verfahren war die Berechnung der Beiträge des Klägers zur Kranken- und Pflegeversicherung streitig. Der (spätere) Prozessbevollmächtigte des Klägers erhob für diesen am 28.5.2015 Klage und beantragte zugleich, dem Kläger unter seiner Beiordnung Prozesskostenhilfe (PKH) zu bewilligen. Der entsprechende vom Kläger ausgefüllte Antrag nebst Belegen werde nachgereicht.

In der Folgezeit stellte der Rechtsanwalt mehrere Fristverlängerungsanträge für die Begründung der Klage und nahm im Juli 2015 Akteneinsicht. Mit Schriftsatz vom 29.9.2015 begründete der Rechtsanwalt die Klage. Durch Beschl. v. 24.6.2016 hat das SG Landshut dem Kläger PKH mit Wirkung vom 17.6.2016 bewilligt und den Rechtsanwalt zu den Bedingungen eines im Bezirk des Prozessgerichts niedergelassenen Rechtsanwalts beigeordnet. Durch Urt. v. 19.4.2017 wies das SG Landshut die Klage ab.

Unter dem 4.7.2016 hatte der Rechtsanwalt vorschussweise die Festsetzung seiner Vergütung gegen die Landeskasse beantragt, die sich aus einer Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 VV i.H.v. 300,00 EUR, der Postentgeltpauschale nach Nr. 7002 VV i.H.v. 20,00 EUR und der Umsatzsteuer nach Nr. 7008 VV zusammensetzte. Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle (UdG) hat diesem Antrag stattgegeben und den Betrag als Vorschuss zur Auszahlung angewiesen.

Unter dem 11.6.2019 hat der Rechtsanwalt die Festsetzung einer Dokumentenpauschale nach Nr. 7000 Nr. 1a) VV für die Fertigung von 80 Seiten Fotokopien i.H.v. 29,50 EUR zzgl. Umsatzsteuer i.H.v. 5,61 EUR beantragt. Der UdG des SG Landshut setzte diese Auslagen am 14.6.2019 antragsgemäß fest und wies sie zur Auszahlung an.

Gegen diese Festsetzung legte der Vertreter der Staatskasse Erinnerung ein und beantragte die Abweisung des Festsetzungsantrags. Zur Begründung führte er aus, die Akteneinsicht und die Fertigung der Kopien habe außerhalb des Beiordnungs- und Bewilligungszeitraums bereits im Juli 2015 stattgefunden.

Das SG Landshut hat die Erinnerung zurückgewiesen und die aus der Staatskasse zu zahlende Dokumentenpauschale auf 35,11 EUR festgesetzt. Dies hat das SG damit begründet, die Fertigung der Kopien stehe mit dem Erstellen der Klagebegründungsschrift und mit der Tätigkeit des Rechtsanwalts im PKH-Verfahren im Zusammenhang. Deshalb sei die Vergütung – hier die Dokumentenpauschale – gem. § 48 Abs. 4 S. 2 RVG unabhängig vom Zeitpunkt der Beantragung der PKH bzw. der Beiordnung des Rechtsanwalts zu gewähren.

Die hiergegen vom Vertreter der Staatskasse eingelegte, vom SG Landshut zugelassene, Beschwerde hatte beim LSG München Erfolg.

II. Zuständigkeit

Für die Entscheidung über die Beschwerde betreffend die PKH-Anwaltsvergütung ist grds. der Einzelrichter zuständig (§ 56 Abs. 2 S. 1 i.V.m. § 33 Abs. 8 S. 1 RVG). Nach den Ausführungen des LSG München hat hier jedoch wegen grundsätzlicher Bedeutung der Angelegenheit gem. § 56 Abs. 2 S. 1 i.V.m. § 33 Abs. 8 S. 2 RVG der Senat als Gesamtspruchkörper entschieden. Dabei erging die Entscheidung ohne die Mitwirkung ehrenamtlicher Richter (§ 56 Abs. 2 S. 1 i.V.m. § 33 Abs. 8 S. 3 RVG).

III. Zulässigkeit der Beschwerde

Die Beschwerde des Vertreters der Staatskasse war nach Auffassung des LSG München auch zulässig. Grds. ist zwar gem. § 56 Abs. 2 S. 1 i.V.m. § 33 Abs. 3 S. 1 RVG die Beschwerde nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,00 EUR übersteigt, was hier bei der umstrittenen Dokumentenpauschale einschließlich Umsatzsteuer i.H.v. insgesamt 35,11 EUR nicht der Fall war. Das LSG München hat jedoch darauf hingewiesen, dass das SG Landshut die Beschwerde wegen der grundsätzlichen Bedeutung zugelassen hatte (§ 56 Abs. 2 S. 1 i.V.m. § 33 Abs. 3 S. 2 RVG). Ferner habe der Vertreter der Staatskasse die Beschwerde auch fristgerecht innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 56 Abs. 2 S. 1 i.V.m. § 33 Abs. 3 S. 3 RVG eingelegt.

IV. Vergütungsanspruch des PKH-Anwalts

1. Umfang des Vergütungsanspruchs

Gem. § 48 Abs. 1 RVG bestimmt sich der Umfang des dem beigeordneten Rechtsanwalt aus der Staatskasse zustehenden Vergütungsanspruchs nach den Beschlüssen, durch die die PKH bewilligt und der Rechtsanwalt beigeordnet oder bestellt worden ist. Damit ist nach den Ausführungen des LSG München der Vergütungsanspruch nach Grund und Höhe vom Umfang der Beiordnung abhängig. Die Entscheidung des Prozessgerichts über den Umfang der Bewilligung von PKH und der Beiordnung sei für das gesamte Festsetzungsverfahren vorgreiflich und binde...

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