Die anwaltliche Bestimmung der konkreten Gebühr aus einem Gebührenrahmen nach § 14 Abs. 1 RVG muss der Billigkeit entsprechen. Ist die Bestimmung unbillig, ist sie nach § 315 Abs. 3 BGB unverbindlich und wird durch Urteil getroffen. Da die Gerichte also die Gebührenbestimmung nur auf ihre Billigkeit, d.h. auf eine Angemessenheit im Vergleich mit ähnlich gelagerten Fällen überprüfen, wird dem Anwalt von der ganz überwiegenden Rspr. ein sog. "Toleranzbereich" zugestanden. Innerhalb dieses Rahmens ist seine Entscheidung nicht zu beanstanden. Nach der noch zu Zeiten der BRAGO entwickelten Rspr. belief sich der Toleranzbereich auf 20 %. Sofern die Bestimmung des Anwalts also die nach Ansicht des Gerichts angemessene Gebühr um nicht mehr als 20 % überstieg, war noch keine Unbilligkeit i.S.d. § 315 Abs. 3 BGB gegeben.[1] Für den Geltungsbereich des RVG hat die Rspr. diese Toleranzgrenze von 20 % (teilweise auch 25 %) übernommen.[2] Dagegen wurde im Schrifttum[3] geltend gemacht, dass gegenüber § 118 BRAGO, der einen Gebührenrahmen von 5/10 bis 10/10 vorsah, unter der Geltung des RVG der Rahmen der Gebührenbemessung bei der außergerichtlichen Vertretung mit ihrem Gebührenrahmen von 0,5 bis 2,5 erheblich vergrößert worden sei. Diese Wertentscheidung des Reformgesetzgebers müsse konsequenterweise eine Erhöhung des Toleranzbereiches auf 30 % zur Folge haben.

Das AG Limburg hat diese Literaturmeinung nun in einem straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren umgesetzt und die vom Verteidiger abgerechnete Mittelgebühr nicht beanstandet. Die sehr knappen Gründe lassen leider eine Auseinandersetzung mit den verschiedenen Kriterien des § 14 Abs. 1 RVG vermissen, so dass auch nicht nachvollzogen werden kann, aufgrund welcher konkreten Einzelumstände das AG auf welche von ihm für angemessen gehaltene Vergütung gekommen ist, die der Verteidiger – ansonsten hätte kein Anlass bestanden, eine Erhöhung des Toleranzbereichs zu bejahen – um 30 % überschritten hat. Mitgeteilt werden allein der Umstand, dass dem Betroffenen zunächst ein Bußgeld von 50,00 EUR und ein Eintrag ins Verkehrszentralregister drohte. Zum konkreten Umfang und der Schwierigkeit der Angelegenheit sowie zu den Vermögensverhältnissen des Mandanten und den konkreten Auswirkungen des Verfahrens auf ihn (drohende Punkte im Zentralregister, bestehende Vorbelastungen, drohendes Fahrverbot, berufliche Tätigkeit etc.) gibt es in den Entscheidungsgründen keine Angaben. Soweit in den Gründen auf den Erfolg der anwaltlichen Tätigkeit, nämlich die Reduzierung des Bußgeldes von 50,00 EUR auf 35,00 EUR abgestellt wird, ist dies gerade kein Kriterium gem. § 14 Abs. 1 RVG für die Bestimmung der konkreten Gebührenhöhe.

Im Hinblick auf den im Vergleich zur früheren Rspr. erweiterten Toleranzbereich auf 30 % begegnet die Entscheidung Bedenken. Man mag gegen einen prozentualen Aufschlag im Bereich einer Ermessensüberprüfung schon grundsätzliche Einwände haben – diese können jedoch nicht darüber hinweghelfen, dass die Praxis ein brauchbareres Instrumentarium zur Überprüfung der anwaltlichen Gebührenbestimmung (noch) nicht gefunden hat. Sie wird also weiter mit einem Toleranzbereich arbeiten, ohne nachvollziehbar begründen zu können, warum eine um 20 % höhere Gebühr noch billig ist, eine um 28 % oder 30 % erhöhte Gebühr dagegen nicht mehr. Allerdings stellt sich die Frage, ob – wie von der oben dargestellten Literaturmeinung gefordert – gerade aufgrund der Einführung des RVG der Toleranzbereich erweitert werden darf. Dabei ist zunächst zwischen den zivil- und verwaltungsrechtlichen Angelegenheiten nach Teil 2 VV sowie den straf- und bußgeldrechtlichen Angelegenheiten nach Teil 4 und 5 VV zu unterscheiden.

Bei den straf- und bußgeldrechtlichen Angelegenheiten ist eine Erweiterung des Toleranzbereiches aufgrund eines vergrößerten Gebührenrahmens nicht zu rechtfertigen. Denn das Verhältnis von Höchst- zu Mindestgebühr, also die Spannweite des Gebührenrahmens, hat sich durch die Einführung des RVG im Vergleich zur BRAGO nicht wesentlich verändert. Zwar ist das Gebührensystem – insbesondere in Bußgeldsachen – weitgehend neu gestaltet worden. Die maßgeblichen Betragsrahmengebühren weisen jedoch in ihrer Spannweite keine relevanten Unterschiede auf.

Bei den zivil- und verwaltungsrechtlichen Angelegenheiten kann im Hinblick auf die Satzrahmengebühr der Nr. 2300 VV dagegen eine erhebliche Erweiterung des Gebührenrahmens festgestellt werden. Jungbauer[4] lehnt eine daraus abgeleitete Erweiterung des Toleranzbereiches schon aus dem Grund ab, dass sich dieser nicht auf den Rahmen beziehe, sondern vielmehr auf die vom Anwalt nach seinem Ermessen festgelegte Gebühr. Dem ist zuzustimmen, da es beim Toleranzbereich um die Frage geht, wie stark die vom Anwalt aus einem Rahmen bestimmte Gebühr von einer Gebühr abweichen darf, die ein Gericht bei objektiver Überprüfung der Gebührenbestimmung eben aus demselben Gebührenrahmen für billig hält. Da es bei § 14 Abs. 1 RVG (auch) um subjektive Wertungen geht, gibt e...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?