RVG § 14 Abs. 1

Leitsatz

Unter der Geltung der weiten Gebührenrahmen, die das RVG dem Rechtsanwalt einräumt, ist bei der Bemessung der Rahmengebühr eine Toleranzgrenze von bis zu 30 % nicht als ermessensfehlerhaft anzusehen.

AG Limburg, Urt. v. 28.10.2008–4 C 1293/08

1 Aus den Gründen

Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Freistellung von den geltend gemachten restlichen Rechtsanwaltsgebühren aufgrund einer Vertretung im Ordnungswidrigkeitenverfahren vor dem AG. Der Anspruch ergibt sich aus dem Verkehrsrechtsschutzversicherungsvertrag bei der Beklagten, bei welcher der Kläger versichert ist. Der Freistellungsanspruch des Klägers gegenüber der Beklagten ist von dieser durch Zahlung des Betrages an den Rechtsanwalt zu begleichen.

Nach Auffassung des erkennenden Gerichts ist die Gebührenrechnung des klägerischen Prozessbevollmächtigten nicht zu beanstanden. Der klägerische Prozessbevollmächtigte hat zutreffend die Mittelgebühr zugrunde gelegt. Für die Bestimmung der Gebühr innerhalb eines Gebührenrahmens kommt es gem. § 14 RVG insbesondere auf den Umfang und die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit an. Nach diesen Ermessenskriterien ist die Gebühr im Einzelfall innerhalb des Gebührenrahmens zu bestimmen. Der weite Rahmen, für den sich der Gesetzgeber beim RVG für sämtliche Gebühren entschieden hat, ermöglicht eine flexible Gebührengestaltung des Rechtsanwalts. Bei der Bestimmung der jeweiligen Gebühr hat der Rechtsanwalt diese unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls nach billigem Ermessen zu bestimmen. Ihm wird hierbei ein allgemeiner Rahmen zugestanden, innerhalb dessen seine Entscheidung durch das Gericht nicht überprüfbar ist. So wurde im Rahmen der Geltung der BRAGO in der Regel davon ausgegangen, dass die von dem Rechtsanwalt im Rahmen seines Ermessens in Ansatz gebrachte Gebühr auch dann nicht unbillig ist, wenn sie von der als angemessen anzusehenden Gebühr innerhalb einer Toleranzgrenze von bis zu 20 % abweicht.

Unter der Geltung des RVG wird aufgrund des weiteren Rahmens, den dieses Gesetz dem Rechtsanwalt ermöglichen soll, zutreffend vertreten, dass auch eine Toleranzgrenze von bis zu 30 % nicht als ermessensfehlerhaft anzusehen ist. Wenn die unter Berücksichtigung der vorstehenden Ausführungen durch den Rechtsanwalt festgesetzte Gebührenhöhe der Billigkeit entspricht, so ist sie verbindlich.

Insoweit ist zu beachten, dass hier zunächst ein Bußgeld in Höhe von 50,00 EUR gegen den Kläger verhängt wurde, womit ein Eintrag in das Flensburger Zentralregister verbunden gewesen wäre. Der klägerische Prozessbevollmächtigte hat die Verringerung des Bußgeldes auf einen Betrag von 35,00 EUR erreicht. Unter Berücksichtigung des ihm zustehenden Ermessensspielraums bei der Bestimmung der Gebühren war die festgesetzte Gebühr jedenfalls nicht unbillig gegenüber der Beklagten.

2 Anmerkung

Die anwaltliche Bestimmung der konkreten Gebühr aus einem Gebührenrahmen nach § 14 Abs. 1 RVG muss der Billigkeit entsprechen. Ist die Bestimmung unbillig, ist sie nach § 315 Abs. 3 BGB unverbindlich und wird durch Urteil getroffen. Da die Gerichte also die Gebührenbestimmung nur auf ihre Billigkeit, d.h. auf eine Angemessenheit im Vergleich mit ähnlich gelagerten Fällen überprüfen, wird dem Anwalt von der ganz überwiegenden Rspr. ein sog. "Toleranzbereich" zugestanden. Innerhalb dieses Rahmens ist seine Entscheidung nicht zu beanstanden. Nach der noch zu Zeiten der BRAGO entwickelten Rspr. belief sich der Toleranzbereich auf 20 %. Sofern die Bestimmung des Anwalts also die nach Ansicht des Gerichts angemessene Gebühr um nicht mehr als 20 % überstieg, war noch keine Unbilligkeit i.S.d. § 315 Abs. 3 BGB gegeben.[1] Für den Geltungsbereich des RVG hat die Rspr. diese Toleranzgrenze von 20 % (teilweise auch 25 %) übernommen.[2] Dagegen wurde im Schrifttum[3] geltend gemacht, dass gegenüber § 118 BRAGO, der einen Gebührenrahmen von 5/10 bis 10/10 vorsah, unter der Geltung des RVG der Rahmen der Gebührenbemessung bei der außergerichtlichen Vertretung mit ihrem Gebührenrahmen von 0,5 bis 2,5 erheblich vergrößert worden sei. Diese Wertentscheidung des Reformgesetzgebers müsse konsequenterweise eine Erhöhung des Toleranzbereiches auf 30 % zur Folge haben.

Das AG Limburg hat diese Literaturmeinung nun in einem straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren umgesetzt und die vom Verteidiger abgerechnete Mittelgebühr nicht beanstandet. Die sehr knappen Gründe lassen leider eine Auseinandersetzung mit den verschiedenen Kriterien des § 14 Abs. 1 RVG vermissen, so dass auch nicht nachvollzogen werden kann, aufgrund welcher konkreten Einzelumstände das AG auf welche von ihm für angemessen gehaltene Vergütung gekommen ist, die der Verteidiger – ansonsten hätte kein Anlass bestanden, eine Erhöhung des Toleranzbereichs zu bejahen – um 30 % überschritten hat. Mitgeteilt werden allein der Umstand, dass dem Betroffenen zunächst ein Bußgeld von 50,00 EUR und ein Eintrag ins Verkehrszentralregister drohte. Zum konkreten Umfang und der Schwierigkeit der Angelegenheit sowi...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?