RVG §§ 15 Abs. 5, 21 Abs. 1; RVG VV Vorbem. 3 Abs. 6
Leitsatz
Wird ein Verfahren vom Rechtsmittelgericht an das vorherige Gericht zurückverwiesen, so ist die Verfahrensgebühr des Verfahrens vor Zurückverweisung auf die Verfahrensgebühr des Verfahrens nach Zurückverweisung anzurechnen, wenn an eine andere Kammer zurückverwiesen wird.
LAG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 10.11.2009–10 Ta 224/09 u. 10 Ta 225/09
Sachverhalt
Der Kläger wendet sich gegen die Anrechnung der Verfahrensgebühr nach Zurückverweisung der Sache.
Der Klägervertreter hat den Kläger bereits im ersten Berufungsverfahren vor dem LAG (6. Kammer) vertreten. Dieses Verfahren endete mit Urt. v. 20.7.2006. Das BAG hat diese Entscheidung mit Urt. v. 29.11.2007 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LAG zurückverwiesen. Die 10. Kammer des LAG hat mit Urt. v. 5.3.2009 die Berufung der Beklagten (erneut) zurückgewiesen und ihr die Kosten des Rechtsstreits, einschließlich der Kosten der Revision, auferlegt.
Mit seinem Kostenfestsetzungsantrag verlangt der Kläger u.a. die Festsetzung einer zweiten Verfahrensgebühr für das Berufungsverfahren, nachdem die Verfahrensgebühr für das erste Berufungsverfahren bereits festgesetzt worden ist. Die Rechtspflegerin hat die beantragte zweite Verfahrensgebühr unter Hinweis auf die Anrechnungsvorschrift der Vorbem. 3 Abs. 6 VV nicht festgesetzt.
Gegen diesen Beschluss hat der Kläger sofortige Beschwerde eingelegt. Zur Begründung führt er aus, die im Berufungsverfahren vor der 6. Kammer bereits entstandene Verfahrensgebühr sei auf die erneute Verfahrensgebühr für das Berufungsverfahren nach Zurückverweisung vor der 10. Kammer nicht anzurechnen, da an einen anderen Spruchkörper zurückverwiesen worden sei.
Das ArbG hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem LAG vorgelegt, das die Beschwerde zurückgewiesen hat.
Aus den Gründen
Zutreffend ist das ArbG davon ausgegangen, dass hier die Anrechnungsvorschrift der Vorbem. 3 Abs. 6 VV eingreift. Nach § 21 Abs. 1 RVG ist das Verfahren nach Zurückverweisung an das untergeordnete Gericht ein neuer Rechtszug, in dem die Verfahrensgebühr neu entsteht; § 15 Abs. 5 S. 1 RVG wird insoweit aufgehoben. Dabei ist die vor dem untergeordneten Gericht bereits entstandene Verfahrensgebühr nach Vorbem. 3 Abs. 6 VV auf die Verfahrensgebühr für das erneute Verfahren anzurechnen. Eine Anrechnung entfällt nur dann, wenn zwischen dem Ende des ersten Verfahrens und dem Beginn des zweiten mehr als zwei Kalenderjahre liegen, vgl. § 15 Abs. 5 Abs. 2 RVG (vgl. Gerold/Schmidt/Madert, RVG, 18. Aufl., § 21 Rn 8). Dies ist vorliegend nicht der Fall. Das erste Verfahren wurde beendet durch das Urteil des LAG v. 20.7.2006, der Rechtsstreit wurde in die zweite Instanz zurückverwiesen aufgrund des Urteils des BAG v. 29.11.2007. Es macht gebührenrechtlich keinen Unterschied, ob die Zurückverweisung an die gleiche oder eine andere Kammer des LAG erfolgt. Die Formulierung in Vorbem. 3 Abs. 6 VV "untergeordnetes Gericht, das mit der Sache bereits befasst war" bezieht sich auf das Gericht als solches, nicht auf die Kammer.
Anmerkung
Wird eine Sache vom Rechtsmittelgericht an ein untergeordnetes Gericht zurückverwiesen, löst dies immer nach § 21 Abs. 1 RVG eine neue Angelegenheit aus. Die Gebühren entstehen erneut. Soweit allerdings das Empfangsgericht mit der Sache bereits befasst war, gilt in Verfahren nach Teil 3 VV die Anrechnungsvorschrift der Vorbem. 3 Abs. 6 VV. Danach ist die Verfahrensgebühr des Verfahrens vor Zurückverweisung auf die Verfahrensgebühr nach Zurückverweisung anzurechnen.
War das Empfangsgericht allerdings mit der Sache noch nicht befasst, greift die Anrechnungsvorschrift der Vorbem. 3 Abs. 6 VV nicht. In diesem Fall entstehen die Verfahrensgebühren des Verfahrens vor und nach Zurückverweisung anrechnungsfrei.
Der Anwendungsbereich dieser Variante ist sehr gering, da eine Zurückverweisung grundsätzlich nur an denselben Spruchkörper möglich ist, der auch vorinstanzlich entschieden hat. Die Verfahrensordnungen kennen jedoch Ausnahmen, wonach auch an ein mit der Sache noch nicht befasstes Gericht oder an einen anderen Spruchkörper des vorinstanzlichen Gerichts zurückverwiesen werden kann. In diesen Fällen zählt das andere Gericht oder die andere Kammer noch zum prozessualen Instanzenzug.
Von § 21 Abs. 1 RVG in dieser Variante werden zum einen diejenigen Fälle erfasst, in denen die jeweilige Verfahrensordnung die Zurückverweisung an ein anderes Gericht als das, das vorinstanzlich entschieden hat, zulässt, z.B. nach §§ 354 Abs. 2, 354 a StPO.
Auf die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des LG Gießen verweist der BGH die Sache nach § 354 Abs. 2, 2. Alt. StPO an das LG Frankfurt zurück.
Es gilt § 21 Abs. 1 RVG, da § 354 Abs. 2 StPO den Rechtszug erweitert. Wäre dagegen nach § 355 StPO (absoluter Revisionsgrund) wegen örtlicher Unzuständigkeit des LG Gießen die Sache an das LG Frankfurt zurückverwiesen worden, würden sich die weiteren Gebühren nach § 20 S. 2 RVG richten, da dann der Instanzenz...