BerHG § 2 Abs. 2 Nr. 6; RVG § 16 Nr. 4
Leitsatz
Die Regelung des § 16 Nr. 4 RVG, wonach Scheidungs- und Folgesachen gebührenrechtlich als "dieselbe Angelegenheit" anzusehen sind, ist nicht auf die vorgelagerte außergerichtliche Beratungshilfe anzuwenden.
LG Gießen, Beschl. v. 10.7.2009–7 T 101/09
Sachverhalt
Das AG Nidda stellte für die Beteilige zu 1) einen Beratungshilfeschein für die Angelegenheit "Trennungsfolgen" aus.
Die Beteiligte zu 1) ließ sich durch die Antragstellerin beraten. Die Antragstellerin beantragte anschließend die Festsetzung jeweils einer Beratungsgebühr nach Nr. 2501 VV zuzüglich Umsatzsteuer in Höhe von 35,70 EUR für die Beratung in den Bereichen:
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Sorgerecht für zwei minderjährige Kinder, |
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Umgangsrecht für zwei minderjährige Kinder, |
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Nutzung der Ehewohnung, |
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Hausratsverteilung, |
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Trennungsunterhalt, |
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Kindesunterhalt für zwei minderjährige Kinder. |
Insgesamt forderte sie die Festsetzung von 214,20 EUR gegen die Staatskasse.
Nach Anhörung des Bezirksrevisors setzte der Urkundsbeamte die Vergütung auf 35,70 EUR (für den Bereich Trennungsunterhalt) fest und überwies diesen Betrag an die Antragstellerin. Gleichzeitig wies der Urkundsbeamte die Antragstellerin darauf hin, dass die weiteren Vergütungsanträge nicht erstattet würden. Die hiergegen gerichtete Erinnerung der Antragstellerin wies das AG – Rechtspfleger – zurück. Gegen diesen Beschluss legte die Antragstellerin "Beschwerde" ein. Der Rechtpfleger half dem Rechtsmittel nicht ab und legte es der Abteilungsrichterin vor, die es zurückwies, jedoch die Beschwerde zuließ.
Gegen diesen Beschluss hat die Beschwerdeführerin Beschwerde eingelegt. Sie ist der Ansicht, dass es sich bei den von ihr vorgenommenen Beratungstätigkeiten um sechs verschiedene Angelegenheiten gehandelt habe.
Der Bezirksrevisor ist unter Berufung auf das Urteil des OLG Stuttgart v. 4.10.2006–8 W 360/06 [= AGS 2007, 97] der Ansicht, dass nur eine Angelegenheit vorliege.
Aus den Gründen
Die Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig, §§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 3, 4 RVG. Für die Festsetzung der Gebühren für die Beratungshilfe eines Rechtsanwaltes ist nach §§ 44, 55 RVG der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle zuständig. Gegen diese Entscheidung ist nach § 56 RVG die Erinnerung der Staatskasse oder des Rechtsanwaltes zulässig. Über diese Erinnerung entscheidet das Gericht des ersten Rechtszuges. Nach überwiegender Ansicht ist der Abteilungsrichter als Gericht des ersten Rechtzuges zuständig, nicht der Rechtspfleger. Dem Rechtspfleger ist zwar gem. § 24a RPflG die Entscheidung über die Gewährung von Beratungshilfe und, soweit sie durch das Gericht erfolgt, auch die Durchführung derselben zugewiesen. Die Zuweisung der Entscheidung über die Bewilligung des Verfahrens beinhaltet aber nicht die Festsetzung der für die Beratungshilfe angefallenen Gebühren. Daher ist der Richter für die Entscheidung über die Erinnerung zuständig (vgl. Schoreit/Groß, Beratungshilfe, Prozesskostenhilfe, 9. Aufl., § 56 RVG Rn 6 m. w. Nachw.). Nach a.A., der auch vorliegend das AG gefolgt ist, ist für die Entscheidung über die Erinnerung gegen die Entscheidung des Urkundsbeamten zunächst der Rechtspfleger zuständig (vgl. LG Mönchengladbach, Beschl. v. 28.11.2008–5 T 313/98; AG Kiel, Beschl. v. 8.1.2009–7 II 5430/08 [= AGS 2009, 126]). Erst gegen dessen Entscheidung soll anschließend, da mangels Erreichens des Beschwerdewertes von 200,00 EUR nach § 33 Abs. 3 RVG eine Beschwerdemöglichkeit zunächst entfällt, die sogenannte befristete Zweiterinnerung gegeben sein, über die der Amtsrichter abschließend entscheidet (vgl. Hartmann, KostG, 36. Aufl., § 56 Rn 21, 8, m. w. Nachw., der dies allerdings zutreffend auf die dem Rechtspfleger übertragenen Geschäfte beschränkt).
Ungeachtet des Verfahrensganges ist aber gegen die Entscheidung der Richterin die Beschwerde statthaft, weil die Amtsrichterin diese nach § 33 Abs. 3 RVG im Rahmen der Teilabhilfeentscheidung wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache ausdrücklich zugelassen hat.
Die Beschwerde ist in der Sache auch begründet.
Die Frage, in welchem Umfang dem Rechtsanwalt für die Beratungshilfe Gebührenanspruch erwächst, ist in der Rspr. und Lit. äußerst unterschiedlich beantwortet. Maßgeblich für die Beantwortung dieser Frage ist der Begriff der Angelegenheit. Gem. § 2 Abs. 2, 6 BerHG wird die Beratungshilfe in "Angelegenheiten" gewährt. Nach § 44 RVG wird die Vergütung für die Tätigkeit im Rahmen der Beratungshilfe nach dem RVG gewährt. Nach dem RVG richtet sich die Vergütung maßgeblich danach, wie viele verschiedene Angelegenheiten die Beratung umfasst hat. Da der Begriff der Angelegenheit im Beratungshilfegesetz nicht näher geregelt ist, ist nach einhelliger Auffassung auf die gebührenrechtlichen Vorschriften des RVG zurückzugreifen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 10.8.2008 – I-10 W 85/08 [= AGS 2009, 79]; OLG Stuttgart, Beschl. v. 4.10.2006–8 W 360/06 [= AGS 2007, 97]). Entscheidend für das Vorliegen einer Angelegenheit ist, ob ein gleichzeitiger Auftrag, ein gleicher Rahmen und ein innerer Zusammenhan...