FamFG § 78 Abs. 2
Leitsatz
Das Prinzip der Waffengleichheit führt im Anwendungsbereich des § 78 Abs. 2 FamFG zwar nicht zwingend zur Beiordnung eines Rechtsanwaltes; es ist für die Frage der "Erforderlichkeit" der Anwaltsbeiordnung aber weiterhin als gewichtiges Abwägungskriterium zu berücksichtigen.
OLG Celle, Beschl. v. 13.1.2010–17 WF 149/09
Aus den Gründen
1. Dem Senat ist in der Beschwerdeinstanz lediglich die Frage der Erforderlichkeit einer Anwaltsbeiordnung angefallen. Es ist deshalb nicht zu prüfen, ob der Antragstellerin im Hinblick auf die Erfolgsaussichten der von ihr beabsichtigten Rechtsverfolgung überhaupt Verfahrenskostenhilfe hätte bewilligt werden dürfen (OLG Köln FamRZ 1992, 566 f. und FamRZ 1999, 1146; Zöller/Geimer, ZPO, 28. Aufl., § 127 Rn 36).
2. Die Beiordnung eines Rechtsanwaltes erscheint unter den hier obwaltenden Umständen jedenfalls durch den Gesichtspunkt einer verfahrensrechtlichen Waffengleichheit erforderlich zu sein.
a) Im Zivilprozess ist gem. § 121 Abs. 2, 2. Alt. ZPO immer dann ein Rechtsanwalt beizuordnen, wenn der Gegner seinerseits durch einen Rechtsanwalt vertreten ist. Auch nach dem Inkrafttreten des FGG-ReformG gilt dieser Grundsatz in den Familienstreitsachen (§ 112 FamFG) uneingeschränkt weiter, weil § 113 Abs. 1 S. 1 FamFG für diese Sachen auch für die Verfahrenskostenhilfe auf die unmittelbare Anwendung der ZPO verweist.
b) Richtig ist allerdings, dass der Gesetzgeber eine entsprechende Regelung für die früheren FGG-Familiensachen – zu denen auch das hier vorliegende Gewaltschutzverfahren gehört – in § 78 Abs. 2 FamFG bewusst nicht übernommen hat, so dass die Beiordnung eines Rechtsanwalts in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit auch bei gegenläufigen Verfahrenszielen der Beteiligten nicht bereits deshalb unbedingt geboten ist, weil sich auch der Gegner anwaltlich vertreten lässt. Hieraus kann indessen nicht der Schluss gezogen werden, dass der Gesichtspunkt der verfahrensrechtlichen Waffengleichheit als Abwägungskriterium für die "Erforderlichkeit" der Anwaltsbeiordnung im Anwendungsbereich des § 78 FamFG gar keine Rolle mehr spiele (so wohl Götsche, FamRZ 2009, 383, 387; Zöller/Geimer, ZPO, 28. Aufl., § 78 FamFG Rn 4). Soweit sich diese Auffassung vornehmlich auf den Gesichtspunkt stützt, dass der Amtsermittlungsgrundsatz (§ 26 FamFG) und die gerichtliche Fürsorgepflicht eine formale Waffengleichheit entbehrlich machen, vermag auch der entsprechende gesetzgeberische Wille (vgl. BT-Drucks 16/6308, S. 214) die zwingenden verfassungsrechtlichen Vorgaben zur Gewährleistung einer weitgehenden Angleichung der Rechte von bemittelten und unbemittelten Rechtsuchenden nicht zu überwinden. Gegen diese Gewährleistung verstößt ein pauschales Abstellen auf einen verfahrensrechtlichen Amtsermittlungsgrundsatz, zumal die Aufklärungs- und Beratungspflicht des Anwalts über die Reichweite der Amtsermittlungspflicht des Richters hinausgeht (vgl. für das sozialgerichtliche Verfahren: BVerfG FamRZ 2002, 531 f. und NJW-RR 2007, 1713, 1714). Insbesondere kann der Anwalt verpflichtet sein, auch solche tatsächlichen Ermittlungen anzuregen und zu fördern, die für den Richter aufgrund des Beteiligtenvorbringens nicht veranlasst sind.
c) Entscheidend für die Erforderlichkeit der Anwaltsbeiordnung ist daher auch im Rahmen des § 78 Abs. 2 FamFG, ob ein Bemittelter in der Lage des Unbemittelten vernünftigerweise einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt hätte. Für diese Abwägung spielt es somit weiterhin eine gewichtige Rolle, ob sich der Beteiligte in einem kontradiktorisch geführten Verfahren einem anwaltlich vertretenen Gegner gegenübersieht. In einer solchen Situation wird nicht nur ausnahmsweise, sondern in durchaus vielen Fällen davon auszugehen sein, dass ein bemittelter Beteiligter sich im Verfahren ebenfalls anwaltlicher Hilfe bedienen würde.
Nach diesen Maßstäben kann die Erforderlichkeit der Beiordnung eines Rechtsanwalts nicht in Abrede genommen werden. Der dem vorliegenden Gewaltschutzverfahren zugrunde liegende Tatsachenstoff, namentlich der genaue Hergang des Vorfalls, ist zwischen den Beteiligten in weiten Teilen streitig, was zumindest dagegen spricht, dass der Fall in tatsächlicher Hinsicht einfach gelagert sein könnte. Dazu kommt, dass der Fall nach dem bisherigen Sach- und Streitstand auch in rechtlicher Hinsicht durchaus Probleme aufwirft, und zwar insbesondere bei der Frage, unter welchen tatsächlichen Voraussetzungen die Vermutung für ein dringendes Regelungsbedürfnis nach § 214 Abs. 1 S. 2 FamFG als widerlegt angesehen werden kann. Bezieht man darüber hinaus die typische emotionale Belastung solcher Verfahren in die Betrachtung ein, bestehen durchgreifende Zweifel daran, dass die Antragstellerin – die als Berufsbezeichnung in der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse "Reinigungskraft" angibt – über die erforderliche Geschäftserfahrung und Gewandtheit verfügt, um ihren Standpunkt im Verfahren sachgerecht auch allein gegenüber einem...