ZPO § 3
Leitsatz
Werden in einem Vergleich nicht rechtshängige, aber behauptete erhebliche Schadensersatzansprüche, deren Realisierbarkeit zweifelhaft ist, mit geregelt, so ist der Vergleichsmehrwert auf den voraussichtlich zu realisierenden Betrag festzusetzen. Es kommt weder auf den behaupteten Anspruch noch auf das Ergebnis an.
LAG Baden-Württemberg, Beschl. v. 1.2.2011 – 5 Ta 229/10
1 Aus den Gründen
Für die insgesamt durch den Vergleich erledigten, nicht rechtshängig gewesenen, von der Beklagten gegenüber dem Kläger außergerichtlich geltend gemachten, vom Kläger nach Grund und Höhe bestrittenen Schadensersatzansprüche wegen Schlechtleistung im Arbeitsverhältnis in Höhe von ca. 500.000,00 EUR ist ein Vergleichsmehrwert in Höhe von 250.000,00 EUR zu veranschlagen.
a) Abgesehen von einem bezifferten, rechtshängig gemachten Leistungsanspruch, bei dem sich der Streitwert ausschließlich nach dem Nennwert der geltend gemachten Forderung richtet (Allgemeine Auffassung, vgl. Zöller/Herget, 28. Aufl., § 3 ZPO Rn 16 unter dem Stichwort "Leistungsklage"), sind das Risiko einer tatsächlichen Inanspruchnahme einerseits und die Frage der Realisierbarkeit der Forderung andererseits als Wert bestimmende Faktoren allgemein anerkannt. Diese wirtschaftliche Betrachtungsweise findet ihren gesetzlichen Niederschlag zum einen im Gedanken der Geringerbewertung wertloser Forderungen in § 25 Abs. 1 Nr. 4 RVG (LAG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 19.5.2010 – 1 Ta 32/10, JurBüro 2010, 529). Auch im Rahmen der Insolvenzordnung bestimmt sich gem. § 182 InsO der Wert des Streitgegenstands einer Klage auf Feststellung einer Forderung, deren Bestand vom Insolvenzverwalter oder von einem Insolvenzgläubiger bestritten worden ist, nach dem Betrag, der bei der Verteilung der Insolvenzmasse für die Forderung zu erwarten ist (LAG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 1.3.2010 – 1 Ta 16/10). Darüber hinaus sind die Gesichtspunkte des Risikos der Inanspruchnahme und der Realisierbarkeit der streitigen Forderungen allgemein im Rahmen der Bewertung einer Feststellungsklage zu berücksichtigen (BGH, Beschl. v. 22.1.2009 – IX ZR 235/08, NJW 2009, 920 [= AGS 2009, 342]; Zöller/Herget § 3 ZPO Rn 16 unter dem Stichwort "Feststellungsklagen" jeweils mit w. Nachw.). Gleiches gilt auch für mitverglichene nicht rechtshängig gewesene streitige Ansprüche (LAG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 19.5.2010 – 1 Ta 32/10; LAG Hamm, Beschl. v. 28.2.1980 – 8 Ta 215/97, MDR 1980, 613; LAG Düsseldorf, Beschl. v. 30.9.1987 – 7 Ta 140/87, JurBüro 1988, 778; LAG Frankfurt/Main, Beschl. v. 16.6.1964 – 5 Sa 366/63, NJW 1965, 2129; LAG Hamburg, Beschl. v. 15.10.1985 – 3 Ta 16/85) wobei es entgegen der Auffassung des ArbG nicht auf die ursprüngliche Höhe des geltend gemachten Anspruchs und den Umfang des "Nachlasses", sondern ausschließlich auf den verbleibenden, als realisierbar erscheinenden Teil ankommt (GK-ArbGG/Schleusener, Stand September 2010, § 12 ArbGG Rn 320; Schneider/Herget, Streitwertkommentar für den Zivilprozess, 12. Aufl. Rn 5719).
b) Daran gemessen erscheint die Festsetzung eines Vergleichsmehrwerts in Höhe von 250.000,00 EUR angemessen. Dies ist nach den unbestritten gebliebenen Ausführungen der Beklagten der Betrag, den die Beklagte nach einer Besprechung der Vermögensverhältnisse des Klägers mit jenem als allenfalls realisierbar eingeschätzt hat. Dies entspricht damit auch dem wirtschaftlichen Interesse der Parteien an der Beteiligung des Streites um die behaupteten Schadenersatzforderungen der Beklagten und bedingt eine teilweise Abänderung des arbeitsgerichtlichen Wertfestsetzungsbeschlusses.
Mitgeteilt von Ass. iur. Hans-Willi Scharder, Mönchengladbach
2 Anmerkung
Die Entscheidung ist zutreffend. Forderungen sind nach § 3 ZPO zu schätzen. Dies gilt auch für den Streitwert der Gerichtsgebühren (§ 48 Abs. 1 S. 1 GKG). Forderungen, die nicht realisierbar oder zumindest zweifelhaft sind, haben keinen vollen Wert. Ebenso wie bei beweglichen Sachen und Immobilien auf den Verkehrswert abgestellt wird, ist eine solche Betrachtung auch bei Forderungen zulässig.
Soweit das Gericht ausführt, bei einem beziffert rechtshängig gemachten Leistungsanspruch richte sich der Streitwert ausschließlich nach dem Nennwert der Forderung, ist dies nicht zutreffend. Dies ergibt sich insbesondere nicht aus § 3 ZPO, denn danach ist der Wert zu schätzen.
Lediglich in Familiensachen verhält es sich anders. Dort ist in § 35 FamGKG ausdrücklich geregelt, dass immer der Nennwert einer Forderung maßgebend ist. Für allgemeine Zivilsachen fehlt es aber an einer entsprechenden Regelung.
Norbert Schneider