1. Ein Richterspruch ist dann willkürlich, wenn er unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwägungen beruht (vgl. BVerfG, 7.4.1992 – 1 BvR 1772/91, BVerfGE 86, 59 <63>). Das Willkürverbot verlangt eine Begründung selbst einer letztinstanzlichen Gerichtsentscheidung dann und insoweit, als von dem eindeutigen Wortlaut einer Rechtsnorm abgewichen werden soll und der Grund hierfür sich nicht schon eindeutig aus den Besonderheiten des Falles ergibt (vgl. BVerfG, 5.11.1985 – 2 BvR 1434/83, BVerfGE 71, 122 <136>).
  2. Es ist nicht ersichtlich, wieso § 95 ZPO über seinen Wortlaut hinaus auf Fälle anwendbar sei, in denen ein Kläger nicht bereit ist, im schriftlichen Vorverfahren einen aus Sicht des Gerichts unschlüssigen Teil seiner Klageforderung zurückzunehmen, um damit einen Haupttermin entbehrlich zu machen. Auch wenn das schriftliche Vorverfahren Möglichkeiten zur Erledigung des Rechtsstreits ohne mündliche Verhandlung bietet, ist es angesichts der grundsätzlich vorgeschriebenen mündlichen Verhandlung aber nicht nachvollziehbar, weshalb daraus eine kostenrechtlich sanktionierte Verpflichtung des Klägers folgen sollte, aus Sicht des Gerichts unbegründete Teile seiner Klage zurückzunehmen, um einen Haupttermin zu vermeiden.
  3. Darüber hinaus ist nicht nachvollziehbar, weswegen das LG davon ausgeht, dass der Haupttermin im Falle der vorgeschlagenen teilweisen Klagerücknahme durch die Beschwerdeführerin nicht hätte stattfinden müssen.

BVerfG, Beschl. v. 8.11.2010 – 1 BvR 1595/10

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