RVG VV Vorbem. 3 Abs. 4, Nrn. 2302, 3100
Leitsatz
- Die Anrechnung einer Geschäftsgebühr auf eine Verfahrensgebühr tritt bereits mit der Entstehung der betroffenen Gebühren ein; auf die Erfüllung der anwaltlichen Vergütungsforderung kommt es hierfür nicht an.
- Gleichwohl können beide Gebühren in voller Höhe geltend gemacht werden, solange insgesamt nicht mehr als die um den Anrechnungsbetrag verringerte Summe verlangt wird.
- Ein Dritter kann sich als Kostenschuldner auf die Anrechnung nur in der Höhe berufen, in der er den Anspruch auf die Geschäftsgebühr erfüllt hat, in der diese gegen ihn tituliert ist oder in der diese in demselben Verfahren gegen ihn geltend gemacht wird.
SG Marburg, Beschl. v. 2.11.2018 – S 10 SF 53/17 E
1 Sachverhalt
In dem genannten Ausgangsverfahren hatte der Erinnerungsführer Klage gegen einen Bescheid des Erinnerungsgegners in Gestalt des Widerspruchsbescheids erhoben. In der Sache begehrten die Kläger die vollständige Übernahme ihrer Kosten der Unterkunft im Rahmen der von ihnen bezogenen laufenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Später schlossen die Beteiligten während eines Erörterungstermins einen gerichtlichen Vergleich. Darin verpflichtete sich der Beklagte u.a., den Klägern ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten für das Vorverfahren zu 87 % und für das Klageverfahren zu 75 % zu erstatten.
Hiernach beantragten die Erinnerungsführer, die Höhe der ihnen zu erstattenden Kosten durch gerichtlichen Beschluss festzusetzen. Dabei machten sie folgende Positionen (nebst Zinsen) geltend:
Geschäftsgebühr gem. Nr. 2302 VV |
300,00 EUR |
Erhöhungsgebühr gem. Nr. 1008 VV |
180,00 EUR |
Auslagenpauschale gem. Nr. 7002 VV |
20,00 EUR |
19 % Umsatzsteuer gem. Nr. 7008 VV |
95,00 EUR |
Zwischensumme: 595,00 EUR, |
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davon 87 % |
517,65 EUR |
Verfahrensgebühr gem. Nr. 3102 VV |
300,00 EUR |
abzüglich Anrechnung der von dem Beklagten geforderten Geschäftsgebühr |
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(87 % von 300,00 EUR = 261,00 EUR) zu 50 % |
– 130,50 EUR |
Terminsgebühr gem. Nr. 3106 VV |
280,00 EUR |
Einigungsgebühr gem. Nr. 1005 VV |
300,00 EUR |
Auslagenpauschale gem. Nr. 7002 VV |
20,00 EUR |
19 % Umsatzsteuer gem. Nr. 7008 VV |
146,21 EUR |
Zwischensumme: 915,71 EUR, |
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davon 75 % |
686,79 EUR |
Endsumme: |
1.204,44 EUR |
Der hierzu angehörte Erinnerungsgegner akzeptierte die geforderten Gebühren und ihre anwaltlich bestimmte Höhe. Er vertrat indes die Ansicht, die entstandene Geschäftsgebühr von 300,00 EUR sei zur Hälfte auf die Verfahrensgebühr anzurechnen, sodass von dieser nicht nur 130,50 EUR, sondern 150,00 EUR abzuziehen seien. Daraufhin erließ die zuständige Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle den Kostenfestsetzungsbeschluss für das Ausgangsverfahren. Dabei wich sie von der Kostenforderung der Erinnerungsführer nur hinsichtlich dieser Anrechnung ab und setzte insgesamt einen von dem damaligen Beklagten an die damaligen Kläger zu erstattenden Betrag i.H.v. 1.187,02 EUR nebst Zinsen fest. Dabei folgte die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle der Rechtsansicht des damaligen Beklagten. Für die Anrechnung sei die volle Geschäftsgebühr von 300,00 EUR zu berücksichtigen – auch wenn der Beklagte nur einen Bruchteil dieses Betrags zu erstatten habe. Denn der Rechtsanwalt könne die entstandene Geschäftsgebühr i.Ü. von seiner Mandantschaft einfordern.
Gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss haben die Kläger Erinnerung eingelegt. Die Geschäftsgebühr sei nur insoweit (zur Hälfte) anzurechnen, als sie auch tatsächlich gezahlt worden sei. Der Rechtsanwalt habe ein Wahlrecht, welche Gebühr er in ungekürzter Höhe von welchem Schuldner einfordere.
Die Erinnerungsführer beantragen den Kostenfestsetzungsbeschluss des SG dahingehend abzuändern, dass der Beklagte den Klägern als außergerichtliche Kosten insgesamt 1.204,44 EUR nebst Zinsen zu erstatten hat.
2 Aus den Gründen
Die Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des SG ist gem. § 197 Abs. 2 SGG statthaft und auch i.Ü. zulässig, insbesondere fristgerecht eingegangen.
Die Erinnerung ist auch begründet. Zu Unrecht hat die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle bei ihrer Entscheidung die von den Erinnerungsführern begehrte Rechtsanwaltsvergütung nicht in voller Höhe festgesetzt.
Erstattungsfähig sind gem. § 193 Abs. 2 SGG die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten. Zu den letztgenannten zählt die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts (§ 193 Abs. 3 SGG). Diese bemisst sich nach dem RVG. Nach § 3 Abs. 1 S. 1 RVG entstehen in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen das GKG nicht anzuwenden ist, Betragsrahmengebühren. Bei dem Ausgangsverfahren handelte es sich um ein Klageverfahren mit kostenprivilegierten Beteiligten i.S.v. § 183 S. 1 SGG, sodass die Anwendung des GKG gem. § 197a Abs. 1 S. 1 SGG ausscheidet. Obgleich dies in § 193 SGG nicht ausdrücklich geregelt ist, zählen zu den notwendigen Aufwendungen auch die Kosten des dem Klageverfahren vorangegangenen Widerspruchsverfahrens (allg. Ansicht, s. nur B. Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auf...