SGG §§ 88 Abs. 1 S. 3, 101 Abs. 2, 197 Abs. 2; RVG VV Nr. 3106
Leitsatz
- Erklärt die Behörde während des Untätigkeitsklageverfahrens gegenüber dem Gericht, dass sie den begehrten Bescheid erlassen habe, kann dies in der Regel auch dann nicht als Anerkenntnis in der Hauptsache ausgelegt werden, wenn zugleich die Kostentragung dem Grunde nach anerkannt wird.
- Eine fiktive Terminsgebühr Anm. S. 1 Nr. 3 zu Nr. 3106 VV entsteht in diesem Fall daher nicht.
SG Freiburg, Beschl. v. 6.3.2019 – S 16 SF 169/19 E
1 Sachverhalt
In dem vor dem SG geführten Klageverfahren stritten die Beteiligten um eine Untätigkeit der Beklagten.
Der Kläger und Erinnerungsführer (Kläger) erhob am 23.10.2018 die Klage mit dem Antrag, die Beklagte zur Entscheidung über einen Antrag des Klägers auf Erstattung von Vorverfahrenskosten v. 20.4.2018 zu verpflichten. Die Beklagte und Erinnerungsgegnerin (Beklagte) beantragte zunächst, die Klage abzuweisen, da ihr keine Kostenrechnung v. 20.4.2018 vorliege. Der Kläger legte daraufhin noch die Rechnung sowie eine Fax-Sendebestätigung vor. Mit Schreiben v. 15.11.2018 teilte die Beklagte dem Gericht mit, dass sie dem Klagebegehren entsprochen habe. Die Kosten für das Widerspruchsverfahren seien angewiesen worden. Damit dürfte dem Klagebegehren in vollem Umfang entsprochen worden sein. Der Kläger möge erklären, ob er den Rechtsstreit in der Hauptsache als erledigt betrachte. Die Übernahme der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers werde dem Grunde nach anerkannt.
Der Kläger teilte hierauf mit, dass er das Anerkenntnis annehme und den Rechtsstreit für erledigt erkläre.
Zugleich beantragte er Kostenfestsetzung wie folgt:
Verfahrensgebühr, Nr. 3102 VV |
150,00 EUR |
Terminsgebühr, Nr. 3106 Nr. 3 VV |
135,00 EUR |
Pauschale, Nr. 7002 VV |
20,00 EUR |
Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
57,95 EUR |
Gesamtbetrag |
362,95 EUR |
Mit Kostenfestsetzungsbeschluss setzte die Urkundsbeamtin des Gerichts die von der Beklagten an den Kläger zu erstattenden Kosten auf insgesamt 202,30 EUR fest. Sie legte dabei die Verfahrensgebühr in beantragter Höhe sowie die Auslagenpauschale zuzüglich Umsatzsteuer i.H.v. 32,30 EUR zu Grunde. Zur Begründung führte sie aus, dass die beantragte hälftige Mittelgebühr der Verfahrensgebühr in diesem Rechtsstreit angemessen sei. Eine fiktive Terminsgebühr sei unter Berücksichtigung der aktuellen Rspr. des BSG (Urt. v. 10.10.2017 – B 12 KR 3/16 R) nicht angefallen. Danach stelle § 88 Abs. 1 S. 3 SGG eine Sonderregelung gegenüber § 101 Abs. 2 SGG dar. Ausgehend hiervon lägen die Voraussetzungen für ein Anerkenntnis und damit für die Festsetzung einer fiktiven Terminsgebühr nicht vor.
Der Kläger hat dagegen Erinnerung eingelegt. Zur Begründung führt er aus, dass ein Fall des § 88 Abs. 1 S. 3 SGG, auf den das von der Kostenbeamtin zitierte obiter dictum des BSG Bezug nehme, gerade nicht vorgelegen habe. Die Beklagte habe keinen zureichenden Grund für die Nichtverbescheidung des "Widerspruchs v. 4.8.2017" gehabt. In den Fällen, in denen sämtliche Voraussetzungen des § 88 SGG bei Klageerhebung vorgelegen hätten, entspreche die Beklagte mit dem Verbescheidung dem Klageantrag vollumfänglich und erkläre einseitig und ohne Einschränkung, dass die von dem Kläger begehrte Rechtsfolge zugegeben werde. Hierzu werde auf den Beschl. d. SG Freiburg v. 29.3.2018 (S 14 SF 402/18 E) Bezug genommen.
Die Kostenbeamtin hat der Erinnerung nicht abgeholfen und sie dem Gericht vorgelegt.
2 Aus den Gründen
Hier ist für das Betreiben der Untätigkeitsklage unstreitig eine Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV in Höhe der hälftigen Mittelgebühr und damit i.H.v. 150,00 EUR angefallen.
Daneben ist jedoch keine (fiktive) Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV entstanden.
Nach Nr. 3106 S. 1 Nr. 3 VV entsteht eine Terminsgebühr in Verfahren vor den Sozialgerichten, in denen Betragsrahmengebühren entstehen (§ 3 RVG), auch dann, wenn das Verfahren, für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, nach angenommenem Anerkenntnis ohne mündliche Verhandlung endet.
Dies war hier jedoch nicht der Fall, weil die Beklagte kein Anerkenntnis abgegeben hatte. Ein Anerkenntnis ist das im Wege einseitiger Erklärung gegebene einseitige Zugeständnis, dass der mit der Klage geltend gemachte prozessuale Anspruch besteht; der Beklagte gibt "ohne Drehen und Wenden" zu, dass sich das Begehren des Klägers aus dem von ihm behaupteten Tatsachen ergibt (B. Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl., 2017 § 101 Rn 20). Ob ein Anerkenntnis gewollt ist, ist durch Auslegung zu ermitteln; das Wort "Anerkenntnis" muss nicht verwendet werden (B. Schmidt, a.a.O., Rn 21). Ein Anerkenntnis kann sich auch nur auf die Kostengrundentscheidung nach § 193 SGG beziehen (BSG, Beschl. v. 26.3.1992 – 7 RAr 104/90, SozR 3-1500 § 193 Nr. 4).
Der Erlass des mit der Untätigkeitsklage begehrten Verwaltungsaktes über die Kostenerstattung für das Vorverfahren kann für sich genommen kein Anerkenntnis darstellen. Dies ergibt sich ohne Weiteres schon daraus, dass das Anerkenntnis als Prozesshandlung gegenüber dem Gerich...