RVG §§ 14, 47, 55; BGB § 315 Abs. 3
Leitsatz
- Der Vorschuss gem. § 47 RVG ist nach der bisherigen Tätigkeit des Rechtsanwalts oder der Rechtsanwältin zu bemessen. Es sind keine pauschalen Abschläge deswegen vorzunehmen, weil es sich zunächst um einen Vorschuss handelt.
- Bei Entscheidung gem. § 55 RVG, bei denen nicht auf die Billigkeitskontrolle nach § 14 Abs. 1 S. 4 RVG zurückzugreifen ist, ist in entsprechender Anwendung des § 315 Abs. 3 S. 1 BGB eine Billigkeitskontrolle durchzuführen.
SG Hamburg, Beschl. v. 12.11.2018 – S 22 SF 394/17 E
1 Sachverhalt
Die Erinnerung wendet sich gegen die hinter dem Antrag zurückbleibende Festsetzung eines Vorschusses gegen die Staatskasse gem. § 47 RVG auf die Verfahrensgebühr gem. 3102 VV. Die Urkundsbeamtin hatte statt der berechneten Mittelgebühr von 380,80 EUR lediglich 309,40 EUR festgesetzt.
2 Aus den Gründen
Der Erinnerungsführer hat Anspruch auf einen Vorschuss von 380,80 EUR.
Der Vorschuss gem. § 47 RVG ist nach der bisherigen Tätigkeit des Rechtsanwalts oder der Rechtsanwältin zu bemessen. Es sind keine pauschalen Abschläge deswegen vorzunehmen, weil es sich zunächst um einen Vorschuss handelt.
Eine systematische Betrachtung des Wortlauts des § 47 RVG zeigt aber auch, dass – anders als bei den Auslagen – für die Gebühren nicht von den zu erwartenden, sondern lediglich von den bereits entstandenen Gebühren auszugehen ist.
Der Umfang der Tätigkeit des Rechtsanwalts sollte bei dieser Feststellung aber auch nicht zu gering bewertet werden. Eine 5/6-Mittelgebühr erscheint der erkennenden Kammer beim derzeitigen Verfahrensstand als angemessen: Die Schriftsätze des Bevollmächtigten v. 14.6.2017 und 13.7.2017 zeigen, dass der Bevollmächtigte trotz der relativ kurzen Zeitspanne den Prozessstoff in diesen von ihm übernommenen laufenden Verfahren ausgewertet, mit dem Kläger erörtert, weitere Unterlagen beschafft und eine zwar gedrängte, aber gezielte Darlegung der Prozesslage geleistet hat. Damit ist der durchschnittliche Tätigkeitsumfang eines AS-Verfahrens zwar deutlich noch nicht erreicht, aber schon in sehr wesentlichen Teilen. Zudem ist aufgrund der Beiladung durch den weiteren Verfahrensbeteiligten die Schwierigkeit leicht erhöht.
Die vom Erinnerungsführer beantragte Mittelgebühr hält sich damit im Rahmen des sog. 20 % Toleranzrahmens und kann festgesetzt werden. Auch bei Entscheidung gem. § 55 RVG, bei denen nicht auf die Billigkeitskontrolle nach § 14 Abs. 1 S. 4 RVG zurückzugreifen ist (Müller-Rabe, in: Gerold/Schmidt, RVG, 23. Aufl., 2,017, § 55 Rn 32), ist nach Auffassung des Gerichts in entsprechender Anwendung des § 315 Abs. 3 S. 1 BGB eine Billigkeitskontrolle durchzuführen, die einen Toleranzrahmen mit sich bringt.
AGS 4/2019, S. 196