a) Kostensparende Verfahrensgestaltung
Das OLG Stuttgart sieht einen konkludenten Verzicht der Parteien auf Kostenerstattung darin, dass diese den vermeintlich den Anfall der Einigungsgebühr vermeidenden Weg der Abgabe von Prozesserklärungen anstelle des Abschlusses eines formellen Vergleichs gewählt haben. Diese Argumentation ist schon im Ansatz widersprüchlich. Geht nämlich das OLG Stuttgart völlig zu Recht davon aus, dass die Einigung der Parteien, den Rechtsstreit durch Abgabe übereinstimmender Erklärungen beenden zu wollen, die Einigungsgebühr ausgelöst hat, so kann darin kein Verzicht auf Erstattung der Einigungsgebühr liegen. Denn diese Verfahrensweise ist jedenfalls hinsichtlich der Einigungsgebühr nicht kostengünstiger als die Beendigung des Rechtsstreits durch einen gerichtlich protokollierten Vergleich. In beiden Fällen ist nämlich den hieran mitwirkenden Prozessbevollmächtigten die Einigungsgebühr angefallen. Die von den Parteien vereinbarte und dann auch gewählte Verfahrensweise, den Rechtsstreit durch Abgabe von Prozesserklärungen beenden zu wollen, konnte somit den Anfall der Einigungsgebühr nicht vermeiden.
Nach Auffassung des OLG Stuttgart haben in dem von ihm entschiedenen Fall beide Parteien hinsichtlich der Erstattung der anwaltlichen Einigungsgebühr einen Verzichtsvertrag konkludent geschlossen. Für die Beklagtenseite ist hierfür bereits deshalb nichts ersichtlich, weil der Beklagten vereinbarungsgemäß gar kein Kostenerstattungsanspruch zusteht; sie hat nämlich die Kosten des Rechtsstreits (einschließlich des Vergleichs) übernommen. Ihr Verzicht ginge also ins Leere.
Zu Unrecht bezieht sich das OLG Stuttgart auch auf die Entscheidung des III. ZS des BGH vom 26.9. 2002. Die Ausführungen des BGH dienten nämlich allein zur Begründung seiner Auffassung, die Festsetzung einer Einigungsgebühr komme nur dann in Betracht, wenn die Parteien einen den Formerfordernissen genügenden Prozessvergleich geschlossen hätten. Diese Auffassung hat der BGH jedoch – wie vorstehend unter II. 2. erörtert – längst wieder aufgegeben.
b) Verzicht als materiell-rechtlicher Einwand
Es entspricht allgemeiner Auffassung, dass im Kostenfestsetzungsverfahren materiell-rechtliche Einwendungen grds. nicht zu beachten sind. Ein materiell-rechtlicher Einwand ist folglich im Kostenfestsetzungsverfahren aus verfahrensökonomischen Gründen ausnahmsweise nur dann zu berücksichtigen, wenn der materiell-rechtliche Einwand keine Tatsachenaufklärung erfordert, er unstreitig ist oder zugestanden wird.
Diese Ausgangslage führt dazu, dass im Kostenfestsetzungsverfahren das Gericht nicht gewissermaßen von Amts wegen materiell-rechtlichen Erwägungen, die dem geltend gemachten Kostenerstattungsanspruch entgegenstehen können – wie hier der konkludente Verzicht auf Erstattung der Einigungsgebühr – berücksichtigen darf. Zumindest muss der mit dem Kostenfestsetzungsverfahren befasste Rechtspfleger oder im Erinnerungs- bzw. Beschwerdeverfahren das damit befasste Gericht den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme zu den materiell-rechtlichen Bedenken gegen die Erstattungsfähigkeit der Einigungsgebühr geben. Hätte hier das OLG Stuttgart den Parteien das rechtliche Gehör dahingehend gewährt, es gehe davon aus, dass die Parteien konkludent auf die Erstattung der Einigungsgebühr verzichtet hätten, so bin ich mir sicher, dass der zu Kostenerstattung berechtigte Kläger dem heftigst widersprochen hätte. Bei richtiger Verfahrensweise des Gerichts wäre der Verzicht hier streitig gewesen und hätte deshalb im Kostenfestsetzungsverfahren von vornherein nicht berücksichtigt werden können, es sei denn, die Beklagte hätte den Abschluss eines entsprechenden Verzichtsvertrags hinreichend darlegen und gem. § 104 Abs. 2 S. 1 i.V.m. § 294 ZPO glaubhaft machen können.
Autor: VorsRiLG a.D. Heinz Hansens, Berlin
AGS 4/2021, S. 146 - 149