§§ 464 Abs. 2, 464a Abs. 2 StPO
Leitsatz
Die Verfahrensgebühr gem. Nr. 4124 VV ist grundsätzlich nicht zu erstatten, wenn die Staatsanwaltschaft ihre Berufung vor deren Begründung wieder zurückgenommen hat.
LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 18.3.2021 – 13 Qs 14/21
I. Sachverhalt
Die Staatsanwaltschaft hat gegen den ehemaligen Angeklagten ein Verfahren wegen gefährlicher Körperverletzung geführt. Das Strafverfahren endete durch freisprechendes Urteil des AG vom 4.2.2020. Gegen den Freispruch hat die Staatsanwaltschaft am 10.2.2020 Berufung eingelegt. Mit Schriftsatz vom 17.2.2020 wandte sich der Rechtsanwalt/Pflichtverteidiger gegen die nicht begründete Berufung und verwies darauf, dass es sich aus seiner Sicht um eine "ausnahmsweise vorsorglich eingelegte Berufung" handele, und bat unter Verweis auf den Gang der Hauptverhandlung um Rücknahme der Berufung durch die Staatsanwaltschaft, insbesondere weil die Ungewissheit des Verfahrensfortgangs für den "unschuldig Angeklagten nicht länger als notwendig zugemutet werden [könne]. Die Staatsanwaltschaft hat die Berufung mit Verfügung vom 4.3.2020 zurückgenommen."
Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des ehemaligen Angeklagten sind der Staatskasse auferlegt worden. Der Rechtsanwalt hat für den ehemaligen Angeklagten die Verfahrensgebühr Nr. 4124 VV und die zusätzliche Verfahrensgebühr nach Nr. 4141 VV nebst Auslagen geltend gemacht. Die Gebühren sind vom AG nicht festgesetzt worden. Das dagegen gerichtet Rechtsmittel des Rechtsanwalts hatte keinen Erfolg.
II. Verfahrensgebühr Nr. 4124 VV entstanden?
Das LG hinterfragt zunächst, ob nach Einlegung des Rechtsmittels durch die Staatsanwaltschaft durch die beratende Tätigkeit des Verteidigers die Verfahrensgebühr nach Nr. 4124 VV entstanden ist. Die Tätigkeit, die hier geltend gemacht werde, sei die Übersendung des Schreibens vom 17.2.2020, mit dem der Verteidiger des ehemaligen Angeklagten die Staatsanwaltschaft um Rücknahme der Berufung bitte. Ob diese Verhaltensweise angesichts des Verfahrensablaufs an der Rücknahme der Berufung mitgewirkt habe, was angesichts der Rücknahme der Berufung zwei Wochen nach dem Schriftsatz und im Zusammenhang mit dem Eingang des Protokolls, bereits zweifelhaft erscheine, lässt die Kammer dann aber dahinstehen.
III. Jedenfalls nicht erstattungsfähig
Die Kammer geht nämlich davon aus, dass die vom Verteidiger erbrachte Tätigkeit jedenfalls nicht erstattungsfähig sei, da sie im konkreten Fall nicht notwendig gewesen sei (§ 464a Abs. 2 Nr. 2 StPO, § 91 Abs. 2 ZPO). Die Notwendigkeit der Tätigkeit des Verteidigers im Berufungsrechtszug, also die Frage, ob die Gebühr nach Nr. 4124 VV verdient ist, wenn die Staatsanwaltschaft ein zu Ungunsten eingelegtes Rechtsmittel noch vor dessen Begründung zurücknimmt, werde in der Rspr. hinsichtlich des Rechtsmittels der Berufung uneinheitlich beurteilt (zum Streitstand zuletzt OLG Stuttgart AGS 2021, 171). Dazu meint das LG, dass Verteidigertätigkeit in einem auf alleiniges Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft geführten Rechtsmittelverfahren grds. nicht notwendig sei, wenn die Staatsanwaltschaft das Rechtsmittel lediglich eingelegt, aber noch nicht begründet habe und sie es vor der Begründung zurück nehme. Dies sei für das Rechtsmittel der Revision in der obergerichtlichen Rspr. anerkannt (statt vieler OLG Köln AGS 2015, 511), da bereits die Vorschriften des Revisionsrechts mit dem zwingenden Erfordernis einer Revisionsbegründung, die inhaltlich bestimmten Voraussetzungen unterliege (§§ 344–347 StPO) zwingende Voraussetzung für den Fortgang des Revisionsverfahrens sei. Ein rechtlich anzuerkennendes Interesse des Verurteilten/Freigesprochenen sich bereits vor Eingang dieser Begründung anwaltlich beraten und sich gegen das Rechtsmittel verteidigen zu lassen, bestehe deshalb gerade nicht. Es sei zu diesem Zeitpunkt stets damit zu rechnen, dass die Staatsanwaltschaft das Rechtsmittel nicht weiterverfolge und zurücknehme. Zudem könne eine sachgerechte und seriöse anwaltliche Einschätzung der Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels erst dann erfolgen, wenn anhand der Rechtsmittelbegründung der Umfang der Anfechtung und auch die inhaltliche Zielsetzung bekannt sei (OLG Koblenz StraFo 2018, 402 12 m.w.N.).
Für das Berufungsverfahren gilt nach Auffassung des LG nichts anderes (vgl. zuletzt OLG Stuttgart, a.a.O.; ausführlich auch KG RVGreport 2012, 187). Zwar sei es zutreffend, dass das Gesetz eine zwingende Begründung der Berufung nicht verlangt. Eine solche sei aber prozessual vorgesehen (§§ 317, 320 S. 1 StPO) und darüber hinaus sei die Staatsanwaltschaft nach Nr. 156 RiStBV daran gehalten die Berufung zu begründen. Die Berufungsbegründung ist letztlich lediglich keine formelle Voraussetzung für ihre Zulässigkeit – dies unterscheidet sie von der Revisionsbegründung. Ihre Begründung i.S.d. Rechtfertigung sei aber in § 320 S. 2 StPO für die Staatsanwaltschaft vorgesehen und entspreche auch dem Rechtsmittelverfahren im Instanzenzug nach Urteil. Dies gilt insbesondere im Falle eines Freispruchs, in dem die Staatsanwaltschaft im Berufungsverfahren eine Verurteilung erre...