Nr. 7008 VV RVG
Leitsatz
Vertritt ein Anwalt einen Mandanten (Verbraucher) mit Wohnsitz außerhalb des Gebiets der Europäischen Union (sog. Drittland), ist seine Tätigkeit umsatzsteuerfrei.
VG Berlin, Beschl. v. 18.2.2021 – 14 KE 4/21
I. Sachverhalt
Der Anwalt war in einem gerichtlichen Verfahren vor dem VG für insgesamt drei Auftraggeber tätig, von denen zwei ihren Wohnsitz in Khartum (Sudan) hatten. Nach Abschluss des Verfahrens beantragte der Anwalt für seine Mandanten die Festsetzung der entstandenen Anwaltskosten einschließlich Umsatzsteuer. Der Urkundsbeamte hat die Umsatzsteuer zu zwei Dritteln abgesetzt. Die hiergegen erhobene Erinnerung hatte keinen Erfolg.
II. Nur kopfteiliger Erstattungsanspruch
Zu berücksichtigen ist zunächst, dass die Kläger gegenüber ihrem Anwalt nicht als Gesamtschuldner haften. Vielmehr gilt § 7 Abs. 2 S. 1, 1. Hs. RVG, wonach jeder Auftraggeber seinem Anwalt nur die Gebühren schuldet, die entstanden wären, wenn er ihn alleine beauftragt hätte.
Darüber hinaus ist hier im Rahmen der Kostenerstattung zu berücksichtigen, dass ein jeder der drei Kläger nur den Anteil erstattet verlangen kann, der auf ihn entfällt. Da hier keine weiteren Angaben gemacht worden sind, ist davon auszugehen, dass die drei Kläger ihrem Anwalt die Gebühren nach Kopfteilen schulden, bzw. gezahlt haben. Daher war hier im Rahmen der Kostenerstattung eine Betrachtung nach Kopfteilen vorzunehmen. Als Zwischenergebnis ist damit festzuhalten, dass ein jeder der drei Kläger ein Drittel der entstandenen Anwaltskosten zur Erstattung und Festsetzung anmelden kann.
III. Keine Umsatzsteuerpflicht bei Verbraucher-Mandanten mit Wohnsitz außerhalb der EU
Insoweit ist aber wiederum zu berücksichtigen, dass zwei Kläger ihren Wohnsitz in Khartum (Sudan) haben. Damit haben sie ihren Wohnsitz außerhalb des Gebietes der Europäischen Union. Dies wiederum hat zur Folge, dass die Tätigkeit des Anwalts insoweit umsatzsteuerfrei ist. Zwar hat der Anwalt seine Leistung faktisch in Deutschland erbracht. Insoweit gilt jedoch § 3a Abs. 4 S. 1 und 2 Nr. 3 UstG. Danach werden sonstige Leistungen – und dazu gehört die Leistung aus einem Anwaltsvertrag – am Wohnsitz oder Sitz des Empfängers erbracht, wenn der Empfänger weder ein Unternehmer ist, für dessen Unternehmen die Leistung bezogen wird, noch eine unternehmerisch tätige juristische Person, der eine Umsatzsteueridentifikationsnummer erteilt worden ist und sie ihren Wohnsitz oder Sitz im Drittlandsgebiet hat. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Bei den Klägern handelt es sich nicht um Unternehmer, sondern um Verbraucher. Daher gilt als Ort der Leistung ihr Wohnsitz. Da der Sudan nicht zur Europäischen Union gehört, ist die Tätigkeit des Anwalts damit insoweit umsatzsteuerfrei. Wenn der Anwalt aber auf zwei Drittel seiner Vergütung keine Umsatzsteuer abführen muss, dann schulden die jeweiligen Auftraggeber dem Anwalt diese Auslagen nicht (siehe Nr. 7008 VV) und können diese auch nicht erstattet verlangen.
IV. Bedeutung für die Praxis
Achtung bei Fällen mit Auslandsberührung
In Fällen mit Auslandsberührung wird immer wieder übersehen, dass die Tätigkeit des Anwalts unter Umständen nicht umsatzsteuerpflichtig ist. Wird der Anwalt für einen Verbraucher tätig, der seinen Wohnsitz außerhalb des Gebietes der Europäischen Union hat, ist die Tätigkeit des Anwalts nicht umsatzsteuerpflichtig. Der Anwalt muss also keine Umsatzsteuer abführen. Dann kann er folglich nach Nr. 7008 VV auch keine Umsatzsteuer gegenüber dem Mandanten erheben. Umsatzsteuer, die nicht anfällt, ist selbstverständlich auch nicht erstattungsfähig. In Fällen mit Auslandsberührung sollte daher stets geprüft werden, ob überhaupt Umsatzsteuer anfällt.
Die vorstehenden Erwägungen gelten i.Ü. auch dann, wenn der Anwalt dem Mandanten im Wege der Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe beigeordnet oder anderweitig bestellt worden ist. Auch die Landeskasse muss nicht von Umsatzsteuerbeträgen freistellen, die nicht angefallen sind (OVG Berlin-Brandenburg AGS 2016, 26 = RVGreport 2016, 65).
Anders verhält es sich, wenn die bedürftige Partei zum Vorsteuerabzug berechtigt ist. Dann muss die Landeskasse auch die Umsatzsteuer zahlen, da sie ja tatsächlich angefallen ist. Das ist jetzt durch die Neufassung des § 55 RVG klargestellt (so schon immer: OLG Hamburg AGS 2013, 428 = RVGreport 2013, 348; OLG München AGS 2016, 528 = RVGreport 2016, 456; OLG Braunschweig AGS 2017, 525 = RVGreport 2017, 411; OLG Frankfurt AGS 2018, 146 = RVGreport 2018, 177; a.A. OLG Celle AGS 2014, 80)
Fällt aber – wie hier – die Umsatzsteuer erst gar nicht an, müssen weder Gegner noch Landeskasse Umsatzsteuer zahlen. Für den Anwalt ist dies auch nicht nachteilig, da er ja auch keine Umsatzsteuer abführen muss.
Rechtsanwalt Norbert Schneider, Neunkirchen
AGS 4/2021, S. 175 - 176