Nr. 4104 VV RVG
Leitsatz
Nimmt die Staatsanwaltschaft ihren Strafbefehlsantrag zurück, versetzt sie damit das Verfahren in den Stand des Ermittlungsverfahrens zurück, mit der Folge, dass der Rechtsanwalt, der vom Beschuldigten erst nach Antragstellung beauftragt worden ist, die Verfahrensgebühr Nr. 4104 VV verdient. Er muss aber eine dem Abgeltungsbereich der Nr. 4104 VV unterfallende Tätigkeit erbracht haben.
LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 13.10.2020 – 7 Qs 56/20
I. Sachverhalt
Am 31.7.2019 beantragte die Staatsanwaltschaft den Erlass eines Strafbefehls gegen den Beschuldigten. Mit Verfügung vom 8.8.2019 sandte der Strafrichter die Akte vom AG an die Staatsanwaltschaft zurück mit dem Hinweis, dass die bisher durchgeführten Ermittlungen keinen hinreichenden Tatverdacht einer Straftat begründen würden. Am 18.9.2019 ging bei der Staatsanwaltschaft die Vertretungsanzeige des Verteidigers des Beschuldigten mit einem Akteneinsichtsgesuch ein. Auf Hinweis der Staatsanwaltschaft, dass das AG derzeit aktenführend sei, wandte sich der Verteidiger mit Schreiben vom 28.11.2019 an das AG und beantragte Akteneinsicht. Akteneinsicht wurde gewährt. Der Verteidiger nahm sodann Stellung zum Strafbefehlsantrag.
Am 8.1.2020 nahm die Staatsanwaltschaft Nürnberg den Strafbefehlsantrag zurück. Mit Verfügung vom 17.1.2020 wurde das Verfahren nach einem Telefonat zwischen Verteidiger und dem zuständigen Staatsanwalt ohne weitere Ermittlungen gem. § 153 Abs. 1 StPO eingestellt.
Der Verteidiger hat die die notwendigen Auslagen des Angeklagten geltend gemacht, und zwar u.a. auch eine Verfahrensgebühr für das Ermittlungsverfahren Nr. 4104 VV. Außerdem hat er die Gebühr Nr. 7022 VV zweimal angesetzt. Die Gebühr Nr. 4104 VV ist nicht festgesetzt worden und die Nr. 7002 VV nur einmal. Das dagegen gerichtete Rechtsmittel hatte keinen Erfolg.
Il. Grundsätzlich: Gebühr Nr. 4104 VV
Die Gebühr Nr. 4104 VV entstehe für eine Tätigkeit des Verteidigers im vorbereitenden Verfahren bis zum Eingang u.a. des Antrags auf Erlass eines Strafbefehls bei Gericht (s. Anmerkung zu Nr. 4104 VV). Die Gebühr Nr. 4106 VV entstehe mit Beginn des gerichtlichen Verfahrens, u.a. mit dem Eingang des Antrags auf Erlass eines Strafbefehls bei Gericht. Hierbei habe sich der Gesetzgeber für klare Tatbestandsmerkmale, jeweils bezogen auf den Eingang bei Gericht als entscheidende Trennlinie entschieden. Eine Ausnahmeregelung für den Fall der Rücknahme einer Verfahrenshandlung der Staatsanwaltschaft habe der Gesetzgeber für den Vergütungstatbestand der Nr. 4104 VV sowie Nr. 4106 VV nicht mit aufgenommen. Insofern sei auf die allgemeinen Vorschriften zurückzugreifen.
Insoweit gelte: Infolge der Rücknahme des Antrags auf Erlass eines Strafbefehls, werde das Verfahren wieder in das vorbereitende Verfahren (Ermittlungsverfahren) zurückversetzt (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 156 Rn 2). Dies ändere jedoch nichts daran, dass bereits ein gerichtliches Verfahren begonnen hatte und diesbezüglich der Anfall der Gebühr Nr. 4106 VV bereits verwirklicht wurde, wenn der Verteidiger (erstmals) im gerichtlichen Verfahren tätig geworden sei (vgl. hierzu AG Gießen Sonderausgabe StRR 12/2016 = RVGreport 2016, 348 = AGS 2016, 394 = RVGprofessionell 2017, 62). Auch die Kammer sei der Auffassung, dass die Rücknahme des Antrags auf Erlass eines Strafbefehls gebührenrechtlich keinen Einfluss auf die Eigenschaft eines gerichtlichen Verfahrens habe, zumal Nr. 4106 VV lediglich auf den Eingang des Antrags bei Gericht abstelle und nicht auf den Erlass des Strafbefehls. Sofern hier im weiteren Verfahren ein neuer Antrag auf Erlass eines Strafbefehls bei Gericht eingegangen wäre, wäre dies gebührenrechtlich jedenfalls als dieselbe Angelegenheit i.S.d. § 15 Abs. 2 RVG zu behandeln gewesen.
Die übereinstimmende Auffassung in Rspr. und Lit. ist zudem, dass dem Verteidiger – sofern er nach Rücknahme des Antrags auf Erlass eines Strafbefehls anschließend im Ermittlungsverfahren tätig war, z.B. aufgrund weiterer Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft, die zu einem erneuten Antrag auf Erlass eines Strafbefehls oder aber zu einer Einstellung geführt haben – zusätzlich die Gebühr Nr. 4104 VV zusteht (Gerold/Schmidt/Burhoff, 24. Aufl., 2019, RVG VV 4104, Rn 4; LG Berlin LG Berlin, RVGreport 2017, 106 = AGS 2017, 80 = RVGprofessionell 2017, 142 = Sonderausgabe StRR 5/2017, 20; AG Gießen, a.a.O.). Auf den Umfang der Tätigkeit komme es für den Anfall der Gebühren nicht an, das ist ein Problem des § 14 Abs. 1 S. 1 RVG (Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O., VV 4104, Rn 6). Dem Verteidiger sei das Mandat unstreitig erst erteilt worden, als bereits der Antrag auf Erlass eines Strafbefehls bei Gericht eingegangen war und somit das gerichtliche Verfahren – unabhängig von der späteren Rücknahme des Antrags auf Erlass eines Strafbefehls – begonnen hatte (Nr. 4106 VV).
III. Aber: Keine vergütungsfähige Tätigkeit erbracht
Es sei vorliegend jedoch keine Tätigkeit im Zeitraum 8.1.2020 bis 17.1.2020 erkennen, mit der die Verwirklichung des Tatbestands der Nr. 4104 VV begründet werden könnte. Zwar sei mit Verfügung vom 17.1.2020 das Verfahren ...