Nr. 4102 Ziff. 3 VV RVG
Leitsatz
Die sich außerhalb der Hauptverhandlung vor Verkündung eines an die Verfahrenslage angepassten Haftbefehls darin erschöpfende anwaltliche Beratung des Mandanten dahin, keine Angaben zur Sache zu machen, stellt (noch) kein für das Entstehen der Gebühr nach den Nrn. 4102 Nr. 3, 4103 VV notwendiges "“Verhandeln" dar.
OLG Bamberg, Beschl. v. 19.1.2021 – 1 Ws 692/20
I. Sachverhalt
Der Rechtsanwalt war Pflichtverteidiger des Angeklagten. Nach Anklageerhebung hat die Strafkammer einen neuen, an die Anklage angepassten Haftbefehl erlassen. Der darauf folgende Termin zur Verkündung und Eröffnung des neuen Haftbefehls fand in Anwesenheit des Pflichtverteidigers statt. Nach Feststellung der Personalien des Angeklagten wurde diesem eine übersetzte Haftbefehlsabschrift überreicht. Sodann wurde die Sitzung für neun Minuten unterbrochen. Nach Fortsetzung der Sitzung erklärte der Angeschuldigte, dass er den Haftbefehl heute in polnischer Sprache erhalten habe, dieser ihm vom Dolmetscher vorgelesen worden sei und er ihn verstanden habe. Zudem bestätigte er, die im Haftbefehl benannte Person zu sein. Nach entsprechender gerichtlicher Belehrung über seine Rechte erklärte der Verteidiger, dass die Einlassung zur Person und zur Sache bis zur Hauptverhandlung zurückgestellt werde, was der Angeschuldigte bestätigte. Im Anschluss verkündete die Strafkammer des durch sie erlassenen Haftbefehls unter Aufhebung des zuvor erlassenen amtsgerichtlichen Haftbefehls.
Mit seinem Kostenfestsetzungsantrag beantragte der Pflichtverteidiger u.a. für die Teilnahme an dem Termin eine Terminsgebühr gem. Nrn. 4102, 4103 VV. Diese ist vom UdG nicht festgesetzt worden. Die dagegen gerichteten Rechtsmittel des Verteidigers hatten beim LG Erfolg (vgl. LG Würzburg, Beschl. v. 25.11.2020 – 8 KLs 981 Js 20829/18, AGS 2021, 168, in diesem Heft). Das OLG hat auf die zugelassene weitere Beschwerde der Staatskasse die Gebühr nicht gewährt.
II. Streit in der Rechtsprechung
Nach Auffassung des OLG hat der Rechtsanwalt keinen Anspruch auf Zahlung der Vernehmungsterminsgebühr nach Nrn. 4102 Nr. 3, 4103 VV. Nach h.M. (OLG Saarbrücken StraFo 2014, 350; OLG Jena, Beschl. v. 15.10.2013 – 1 Ws 344/13 = RVGreport 2014, 24; LG Osnabrück JurBüro 2020, 478; Kremer, in: Riedel/Sußbauer, RVG 10. Aufl., VV 4102 Rn 10; Kroiß, in: Mayer/Kroiß [Hrsg.], RVG, 5. Aufl., Nr. 4100–4103 VV Rn 36; Stollenwerck, in: Schneider/Volpert/Fölsch [Hrsg.] Gesamtes Kostenrecht, 2. Aufl., Nr. 4100–4103 VV RVG) liege bei der bloßen Beratung des Mandanten, keine Angaben zu machen, ein Verhandeln über die Anordnung oder Fortdauer der Untersuchungshaft nicht vor. Der Verteidiger habe nach dieser Ansicht eine Gebühr nach Nrn. 4102 Nr. 3, 4103 VV nicht verdient, wenn in einem Termin nur ein Haftbefehl verkündet werde. Ein Verteidiger müsse, um die Gebühr zu verdienen, im Termin für den Beschuldigten in der Weise tätig geworden sein, dass er Erklärungen abgegeben oder Anträge gestellt habe, die dazu bestimmt waren, die Anordnung oder Fortdauer der Untersuchungshaft abzuwenden (OLG Saarbrücken, a.a.O.). Nach anderer Ansicht (vgl. LG Bielefeld StV 2006, 198; BeckOK RVG/Knaudt [Stand: 1.12.2020], RVG VV 4102 Rn 12; Burhoff, in: Gerold/Schmidt, RVG, 23. Aufl., VV 4102, 4103 Rn 13; Burhoff, in: Burhoff [Hrsg.], RVG Straf- und Bußgeldverfahren, Teil 4, Nr. 4102 Rn 32), der das LG gefolgt sei, sei auch dann, wenn der Verteidiger keine Erklärungen im Haftbefehlsverkündungstermin abgegeben oder Anträge gestellt habe, von einem Verhandeln i.S.d. Nrn. 4102 Nr. 3, 4103 VV auszugehen, wenn er seinen Mandanten – wie hier – dahingehend beraten habe, in dem Termin keine Angaben zur Sache zu machen.
III. Anschluss an die herrschende Auffassung
Das OLG hat sich dann im Grundsatz der erstgenannten Auffassung angeschlossen, wobei er im Hinblick auf die Ausführungen des OLG Saarbrücken (a.a.O.) ausdrücklich offen gelassen hat, ob die Gebühr nach Nrn. 4102 Nrn. 3, 4103 VV auch verdient sein kann, wenn zwar nicht der anwesende Verteidiger, wohl aber der Beschuldigte im Termin Erklärungen abgegeben oder Anträge gestellt habe. Diese Ansicht entspricht nach Auffassung des OLG dem gesetzgeberischen Willen in den Motiven zu Nr. 4102 VV (BT-Drucks 15/1971, 223). Auch der Gesetzeswortlaut spreche dagegen, bereits die Beratung des Mandanten durch seinen Verteidiger dahingehend, er solle keine Angaben zur Sache machen, als Verhandeln i.S.d. vorgenannten gesetzlichen Vorschriften anzusehen. Mit der gesetzlichen Formulierung sei, in Übereinstimmung mit den zitierten Motiven des Gesetzgebers, eindeutig zum Ausdruck gekommen, dass ein Rechtsanwalt nicht schon durch seine bloße Teilnahme an einem Haftbefehlseröffnungstermin die Gebühr nach Nrn. 4102 Nr. 3, 4103 VV verdiene, sondern dass es zusätzlich zu einem Verhandeln und zwar über die Anordnung oder Fortdauer der Untersuchungshaft gekommen sein müsse. § 115 Abs. 3 S. 2 StPO, der auf bereits inhaftierte Beschuldigte entsprechend anwendbar sei (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 115 Rn 12 m.w.N.), bestimme, dass dem Beschuldigten Gelegenheit zu geben is...