§ 51 RVG
Leitsatz
- Ein zur Vermeidung von Mehrkosten für die Staatskasse bei Umbeiordnung erklärter Gebührenverzicht des Verteidigers wirkt sich auch auf die Bewilligung der Pauschgebühr aus. Da dem Pflichtverteidiger für die von dem Verzicht erfassten Verfahrensabschnitte oder Tätigkeiten keine gesetzlichen Gebühren zustehen, können diese Verfahrensabschnitte oder Tätigkeiten auch bei der Bewilligung der Pauschgebühr nicht berücksichtigt werden.
- Die Bewilligung einer Pauschgebühr stellt die Ausnahme dar; die anwaltliche Mühewaltung muss sich bei einer Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalls von sonstigen – auch überdurchschnittlichen Sachen – in exorbitanter Weise abheben.
- Ein Pauschgebührenantrag kann nur noch bedingt auf vor dem 1.7.2004 ergangene Rechtsprechung gestützt werden.
- Zur besonderen Schwierigkeit in Staatschutzverfahren.
- Nur in Ausnahmefällen ist im Rahmen der Bemessung der Pauschgebühr eine Anhebung der dem Pflichtverteidiger gesetzlich zustehenden Terminsgebühr möglich. Dies kommt in Betracht, wenn an sich in die Hauptverhandlung fallende Vorgänge – etwa das Verlesen von Urkunden durch Anordnung des Selbstleseverfahrens – nach außen verlagert werden oder im Rahmen der Hauptverhandlung neue Unterlagen bekannt werden, die eine intensive Vor- oder Nachbereitung erfordern.
- Die Bejahung einer fast ausschließlichen Inanspruchnahme durch die Hauptverhandlung kommt unter Zugrundelegung einer fünftägigen Arbeitswoche grundsätzlich nicht schon bei Prozesswochen mit zwei ganztägigen Verhandlungen, sondern erst bei solchen mit jedenfalls drei ganztägigen Verhandlungen in Betracht.
OLG Celle, Beschl. v. 10.12.2021 – 5 AR (P) 7/20
I. Sachverhalt
Der Rechtsanwalt war Pflichtverteidiger in einem Staatsschutzverfahren beim OLG wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland u.a. Er hat nach Abschluss des Verfahrens eine Pauschgebühr nach § 51 RVG beantragt.
Dem Angeklagten war am 9.11.2016 zunächst ein anderer Rechtsanwalt J. zum Pflichtverteidiger bestellt worden. Daneben war seit dem 1.12.2016 auch Rechtsanwalt S. als Verteidiger mandatiert, seine Beiordnung als weiterer Pflichtverteidiger erfolgte am 27.7.2017. Aufgrund von Meinungsverschiedenheiten der Verteidiger über die weitere Verteidigungsstrategie nach Beginn der Hauptverhandlung erfolgte am 18.4.2018 auf Antrag des Angeklagten die Entpflichtung von Rechtsanwalt S. unter gleichzeitiger Beiordnung des Antragstellers. Dieser hatte zuvor mit Schreiben vom 16.4.2018 erklärt, dass "der Staatskasse (…) durch die Umbeiordnung keine zusätzlichen Kosten entstehen" werden.
Der Rechtsanwalt hat eine Pauschgebühr i.H.v. 1.950.470,00 EUR beantragt, was in etwa dem Neunfachen der Wahlanwaltsgebühren entspricht. Die Vertreterin der Landeskasse hat eine Pauschgebühr i.H.v. 34.000,00 EUR (ca. 50 % der Differenz der Pflichtverteidigergebühren zur Wahlverteidigerhöchstgebühr) vorgeschlagen. Das OLG hat eine Pauschgebühr i.H.v. rund 30.000 EUR festgesetzt.
II. Beschränkung der Darstellung
Das OLG nimmt in seiner Begründung zu einigen Fragen Stellung, auf die hier aus Platzgründen nicht im Einzelnen eingegangen werden kann. Insoweit wird auf die obigen Leitsätze des Verfassers und den Volltext verwiesen. Die Darstellung hier beschränkt sich auf die Ausführungen des OLG in Zusammenhang mit der Darstellung, welche Tätigkeiten der Pauschgebühr-Gewährung zugrunde zu legen sind.
III. Auswirkungen des teilweisen Gebührenverzichts
Das OLG hat den besonderen Umfang und auch die besondere Schwierigkeit des Verfahrens bejaht. Allerdings hat es die erstmalige Einarbeitung des Antragstellers in die Ermittlungsakten und die allgemeine Vorbereitung auf die Hauptverhandlung bei der Beurteilung des "besonderen Umfangs" des Verfahrens nicht berücksichtigt. Zwar hätten die Verfahrensakten einen weit überdurchschnittlichen Umfang gehabt, hinzu komme, dass der Antragsteller erst nach dem 44. Hauptverhandlungstag zum weiteren Verteidiger bestellt worden sei und die ihm zur Verfügung stehende Einarbeitungszeit deshalb vergleichsweise kurz gewesen sei.
Zu beachten sei aber, dass der Antragsteller mit Schreiben vom 16.4.2018 erklärt hat, dass "der Staatskasse (…) durch die Umbeiordnung keine zusätzlichen Kosten entstehen" werden. Hierauf habe der Vorsitzende in seinem Umbeiordnungsbeschluss vom 18.4.2018 auch ausdrücklich abgestellt. Der Antragsteller habe dementsprechend im Rahmen der Kostenfestsetzung auf die Grundgebühr und die Verfahrensgebühren verzichtet.
1. Gebührenverzicht beschränkt die Pauschgebühr
Der Gebührenverzicht im Rahmen der Umbeiordnung sei zulässig und wirksam (vgl. KG StraFo 2016, 513; OLG Karlsruhe NStZ 2016, 305; Burhoff/Volpert/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl., 2021, Teil A Rn 2398, jew. m.w.N.). Er wirke sich auch auf die Bewilligung der Pauschgebühr aus. Wenn nämlich dem Pflichtverteidiger für einen Verfahrensabschnitt oder eine bestimmte Tätigkeit keine (gesetzlichen) Gebühren zustehen – sei es, dass eine Gebühr gar nicht entstanden sei, oder sei es, dass auf eine entsprechende Gebühr verzichtet worden sei –, könne dieser Verfahrensabschnitt...