Von Wolfgang Leopold Raphael Lell. 2021. Dr. Kovac Verlag, Hamburg. 227 S., 96,80 EUR

Im Jahr 2019 hat Lell seine Dissertation zur Vergütung des Pflichtverteidigers in Großverfahren vorgelegt. Ja, eine Dissertation zu einer gebührenrechtlichen Frage. Man glaubt es kaum. Und dann auch noch zu Pauschgebühr nach § 51 RVG, dem ungeliebten Kind der OLG – und wohl auch des BVerfG. Das ist zwar keine Sensation, aber doch eine Besonderheit, die es lohnt, einen Blick darauf zu werfen.

Die Dissertation, die den Stand von Frühjahr 2021 hat, erfasst nicht die Pauschgebühr in allen Facetten und in allen Verfahren. Sie beschränkt sich vielmehr auf die sog. Großverfahren, wie z.B. das NSU-Verfahren. Für diese Verfahren entwickelt der Autor interessante Ansätze und Regeln für die Gewährung von Pauschgebühren, die allerdings – das sei schon an dieser Stelle angemerkt – m.E. wenig Aussicht haben, vom Gesetzgeber übernommen zu werden.

Grundlage dieser "Thesen" ist die von Lell beanstandete undurchsichtige und im Grunde genommen zufällige Anwendung des § 51 RVG, die allgemein von der Lit. beklagt wird. Lell ist darin Recht zu geben, dass diese Rspr. in vielen Fällen mit Art 12. GG nicht vereinbar ist, sie aber andererseits gerade auf der "Sonderopferrechtsprechung" des BVerfG basiert, die die OLG fortentwickelt und verfeinert haben. Gegen diese oberlandesgerichtliche Rspr. – gerade in Großverfahren – wendet Lell zwar zu Recht ein, dass die darauf basierende Verneinung einer Stundensatzlösung gerade in Großverfahren zu für den Pflichtverteidiger nicht hinnehmbaren und teilweise auch nicht mehr verfassungsgemäßen Pauschgebühren führt, wofür die von Lell vorgestellten NSU-Entscheidungen anschauliche Beispiele. Wenn der Autor dann meint, aus dem Gebührensystem des RVG sei aber abzuleiten, dass § 51 RVG es den OLG nicht erlaube, die Pauschgebühr frei zu bestimmen, scheint mir eben das aus dem Gebührensystem nicht zu folgen. Denn in § 51 RVG ist gerade eine "Pauschgebühr" vorgesehen, was eben wohl beinhaltet, dass es feste Regeln für deren Bemessung wohl nicht geben soll bzw. kann.

Nichts desto trotz sind die von Lell aufgestellten Regeln/Forderungen für die Gewährung einer Pauschgebühr (in Großverfahren) diskussionswürdig. Nach diesen Regeln soll die Pauschgebühr grds. nur tatsächlichen Aufwand abgelten (Nr. 1), das Verteidigungsverhalten grds. irrelevant sein (Nr. 2), die Pauschgebühr keine Obergrenze haben (Nr. 3), die Nichtanwendung von Gebührenregeln im RVG, vornehmlich in Teil 4 VV, zugunsten des Pflichtverteidigers erlaubt sein (Nr. 4), bei der Pauschgebührenbewilligung der Aufwand und das Ergebnis von verfahrensverkürzenden Bemühungen des Pflichtverteidigers angemessen honoriert werden (Nr. 5), die Pauschgebührenhöhe auf Stundenbasis ermittelt werden (Nr. 6) und die Frage der Gebotenheit einer Pauschgebühr für jeden einzelnen Verfahrensabschnitt separat und abschließend beantwortet werden (Nr. 7).

Die Einhaltung aller sieben Regeln zu fordern, ist zutreffend, und zwar nicht nur für Großverfahren. Man wird diese Fragen auf der Grundlage der Arbeit von Lell in "Pauschgebührverfahren" diskutieren und die bisherige Rspr. der OLG hinterfragen müssen. Ich glaube allerdings, dass sich letztlich nicht viel bewegen wird. Der Gesetzgeber wird – ohne eine Aufforderung aus Karlsruhe – den § 51 RVG nicht ändern, schon gar in Richtung des von Lell vorgeschlagenen "flexiblen Stundensatzes". Und auch in der Rspr. der OLG wird sich ohne eine Mahnung bzw. einen Rüffel aus Karlsruhe nichts ändern. Und auf die/den ist angesichts der Rspr. des BVerfG kaum zu hoffen. Verwiesen sei dazu nur auf BVerfG NJW 2019, 3370 = RVGreport 2020, 13, wo das BVerfG die (Nicht-)Gewährung einer Pauschgebühr für einen Zeugenbeistand, der an einer Vernehmung des Zeugen, die an drei Hauptverhandlungsterminen über etwa 9,5 Stunden stattfand, teilgenommen hatte, wofür eine gesetzliche Gebühr von 200,00 EUR gewährt worden ist, nicht beanstandet hat.

Aber: Das ändert nichts daran, dass die Dissertation von Lell lesenswert ist und Argumentationsansätze für den Pflichtverteidiger bietet, der – nicht nur in Großverfahren – eine Pauschgebühr nach § 51 RVG beantragen will. Gerade die Berechnungen und Ausführungen des Autors zur "Stundensatzlösung" sollten Pflichtverteidiger bei den OLG immer wieder vortragen. Vielleicht bewegt sich die Rspr. ja doch mal.

Autor: Detlef Burhoff

Rechtsanwalt Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

AGS 4/2022, S. III

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