§ 166 Abs. 1 S. 1 VwGO; §§ 114 ff. ZPO; VwV Reiseentschädigung
Leitsatz
- Einem bedürftigen Beteiligten können in analoger Anwendung von § 166 Abs. 1 S. 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 ZPO Reisekosten für die Teilnahme an einer mündlichen Verhandlung bewilligt werden.
- Die Bewilligung von Reisekosten zum Verhandlungstermin setzt nicht voraus, dass die Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass die Teilnahme des Bedürftigen an der mündlichen Verhandlung für eine vernünftige Prozessführung notwendig ist.
VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 21.10.2021 – 13 S 3017/21
I. Sachverhalt
Mit ihrer – schwer verständlichen – Klage hatte die Klägerin vor dem VG Stuttgart die Zuweisung von Zahlungsansprüchen sowie die Bewilligung von Direktzahlungen und Leistungen aus dem Förderprogramm für Agrarumwelt, Klimaschutz und Tierwohl beantragt und dabei hilfsweise die Aufhebung eines ihr nachteiligen Widerspruchsbescheides des Landratsamts begehrt. Für die Durchführung dieser Klage hat die Klägerin die Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) beantragt. Für die Teilnahme an dem vom VG Stuttgart angesetzten Verhandlungstermin hat sie die Bewilligung von Reisekosten aus der Staatskasse beantragt. Das VG Stuttgart wies beide Anträge zurück. Mit ihrer hiergegen gerichteten Beschwerde hatte die Klägerin vor dem VGH Baden-Württemberg teilweise Erfolg.
II. Versagung der Prozesskostenhilfe
1. Nicht glaubhaft gemachte Bedürftigkeit
Das VG Stuttgart hat die Bewilligung von PKH wohl deshalb abgelehnt, weil die Klägerin ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht glaubhaft gemacht hatte. Der VGH Baden-Württemberg hat darauf hingewiesen, dass zwar gem. § 166 Abs. 1 S. 1 VwGO i.V.m. § 118 Abs. 2 S. 4 ZPO ein PKH-Antrag zwingend abzulehnen ist, wenn der Kläger innerhalb einer von dem Gericht gesetzten Frist Angaben über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht glaubhaft macht oder bestimmte Fragen nicht oder ungenügend beantwortet. Das VG Stuttgart habe die Klägerin zu Recht zur weiteren Glaubhaftmachung ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse durch Vorlage eines aktuellen Bescheides des Jobcenters aufgefordert und die Klägerin sei dieser Aufforderung nicht nachgekommen. Der VGH Baden-Württemberg hat darauf hingewiesen, dass es jedoch an einer Fristsetzung durch das VG Stuttgart fehle.
2. Fehlende Erfolgsaussicht
Der VGH Baden-Württemberg hat jedoch die Auffassung des VG Stuttgart geteilt, die Bewilligung von PKH komme nicht in Betracht, weil die Klage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg biete. Die Klägerin habe nämlich voraussichtlich keinen Anspruch auf Zuweisung von Zahlungsansprüchen und auf Bewilligung von Direktzahlungen und Ausgleichsleistungen aus dem genannten Förderprogramm in dem von ihr beantragten Umfang. I.Ü. sei der Widerspruchsbescheid rechtmäßig.
III. Bewilligung von Terminsreisekosten
1. Gesetzliche Grundlage
Nach Auffassung des VGH Baden-Württemberg können einem bedürftigen Beteiligten in entsprechender Anwendung von § 166 Abs. 1 S. 1 VwGO i.V.m. § 122 Abs. 1 ZPO aus der Staatskasse Reisekosten bewilligt werden (s. BVerwG RVGreport 2017, 235; VGH Baden-Württemberg Justiz 2010, 268; OVG NRW, Beschl. v. 18.9.2019 – 12 A 3552/18, juris Rn 9 ff.; OVG Sachsen, Beschl. v. 16.12.2019 – 5 E 108/19, juris Rn 3). Der Auffassung, dass die Bewilligung von Reisekosten außerhalb der Vorschriften über die Bewilligung von PKH nach der VwV Reiseentschädigung erfolgen kann (s. OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 13.9.2006 – 1 O 196/01, juris Rn 2; OVG Sachsen NVwZ-RR 1999, 814), hat der VGH Baden-Württemberg eine Absage erteilt. Dagegen spreche bereits, dass es sich bei der VwV Reiseentschädigung um eine Verwaltungsvorschrift handele. Solchen Verwaltungsvorschriften komme Außenwirkung nur unter dem Aspekt der Selbstbindung der Verwaltung zu. Aufgrund der richterlichen Unabhängigkeit komme jedoch eine Selbstbindung der Rspr. nur ausnahmsweise und in engen Grenzen in Betracht. Es könne aber nicht im jeweiligen Ermessen des einzelnen Gerichts stehen, ob es Reisekosten bewillige oder nicht.
2. Keine hinreichende Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung erforderlich
Entgegen der Auffassung des VG Stuttgart setzt die Bewilligung von Reisekosten nach den weiteren Ausführungen des VGH Baden-Württemberg keine hinreichenden Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung voraus. Vielmehr sei erforderlich, aber auch ausreichend, dass die Teilnahme des Bedürftigen an der mündlichen Verhandlung für eine vernünftige Prozessführung notwendig sei. Dies ist allerdings in der Rspr. umstritten.
a) Hinreichende Erfolgsaussicht erforderlich
Nach einer Auffassung kommt die Bewilligung von Reisekosten nur dann in Betracht, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (BVerwG, Beschl. v. 19.2.1997 – 3 PKH 1.97, juris Rn 5; OVG Berlin-Brandenburg NJW 2009, 388; OVG Hamburg, Beschl. v. 9.3.2010 – 3 So 190/08, juris Rn 4; BGH, Beschl. v. 4.3.2005 – AnwZ (B) 53/03 und AnwZ (B) 79/03, juris Rn 12).
b) Terminsteilnahme notwendig
Nach einer anderen...