Nr. 4102 VV RVG; §§ 14, 51 RVG
Leitsatz
- Bei der Regelung in Nr. 4102 VV handelt es sich um eine abschließende Regelung, die nicht analog auf weitere Termine Anwendung findet.
- Es spricht nichts dafür, dass es sich bei der Regelung in Nr. 4102 VV lediglich um eine beispielhafte Aufzählung von Tätigkeiten außerhalb der Hauptverhandlung handelt.
- Mehrtätigkeiten sind über § 14 RVG oder über den Weg des § 51 RVG zu verfolgen.
OLG Brandenburg, Beschl. v. 12.1.2023 – 2 Ws 156/22
I. Sachverhalt
In einem Strafverfahren (hier des LG Cottbus) wurde der Nebenklägerin eine Rechtsanwältin als Beistand bestellt. Diese beantragte bei Fälligkeit die Festsetzung ihrer Vergütung, darunter u.a. für den 19.8.2021 zweimal eine Terminsgebühr gem. Nr. 4114 VV in der jeweils geltenden Fassung, und zwar in einem Fall mit dem Zusatz "Begutachtung durch SV Dr. R.". Der zuständige Urkundsbeamte der Geschäftsstelle (UdG) kürzte die beantragte Festsetzung um eine der beantragten Terminsgebühren für den 19.8.2021 sowie um den Längenzuschlag für den Hauptverhandlungstermin. Hiergegen wehrte sich die Nebenklägervertreterin und wies darauf hin, dass die Terminsgebühr nicht doppelt berechnet worden sei, sondern es sich um eine weitere Terminsgebühr für die an jenem Tag gesondert stattgefundene sachverständige Begutachtung der Nebenklägerin, der die Rechtsanwältin beigewohnt habe, angefallen sei. Mit weiterem Schreiben vom 22.12.2021 vertrat die Rechtsanwältin die Auffassung, dass für die Teilnahme an der Begutachtung jedenfalls die Gebühr Nr. 4102 VV angefallen sei. Gegen die Kürzung um den Längenzuschlag für die Hauptverhandlung vom 20.7.2021 wehrt sie sich nicht. Auf entsprechende Erinnerung hin, hat das LG den angegriffenen Kostenfestsetzungsbeschluss dahin abgeändert, dass für die Teilnahme an der sachverständigen Begutachtung eine weitere aus der Landeskasse zu zahlende Vergütung i.H.v. 178,50 EUR festgesetzt wird. Dabei handelt es sich um eine weitere Gebühr nach Nr. 4102 VV. Hiergegen wendete sich daraufhin der Bezirksrevisor mit seiner Beschwerde. Er vertrat die Auffassung, dass die Aufzählung in Nr. 4102 VV abschließend und einer entsprechenden Anwendung nicht zugänglich sei. Das OLG gab ihm final Recht.
II. Regelung Nr. 4102 VV abschließend? Unterschiedliche Ansichten
Die Frage, ob es sich bei der Regelung in Nr. 4102 VV um eine abschließende Regelung handelte, die eine analoge Anwendung auf andere Sachverhalte ermögliche, sei, so das OLG, umstritten. Bisweilen werde zwar eine entsprechende Anwendung für zulässig gehalten (vgl. etwa LG Hamburg, Beschl. v. 24.11.2016 – 617 Ks 22/16, m.w.N.). Überwiegend sehe die h.A. jedoch eine abschließende Regelung (vgl. Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG, 25. Aufl., 2021, VV 4102 Rn 5; BeckOK RVG/Knaudt, VV 4102 Rn 11, Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl., 2021, Nr. 4102 VV Rn 45) und der obergerichtlichen Rspr. (vgl. OLG Saarbrücken, Beschl. v. 8.8.2011 – 1 Ws 89/11, RVGreport 2012, 66; KG, Beschl. v. 18.11.2011 – 1 Ws 86/11, AGS 2012, 388; OLG Köln, Beschl. v. 23.7.2014 – III-2 Ws 416/14, AGS 2015, 329). Das OLG Brandenburg folgt in seiner Entscheidung dann der h.A., wonach eine analoge Anwendung der Nr. 4102 VV auf weitere, dort nicht bezeichnete Tätigkeiten des Rechtsanwalts außerhalb der Hauptverhandlung ausscheide. Bei dieser Regelung handelt es sich – so das OLG – nämlich nur um eine Ausnahmeregelung, die abschließend aufliste, für welche Termine außerhalb der Hauptverhandlung der Rechtsanwalt eine Gebühr beanspruchen kann. Dies ergebe sich bereits aus dem Gesetzestext, welcher nach abschließender Aufzählung keinen Auffangtatbestand vorsehe (vgl. OLG Saarbrücken, a.a.O.; Burhoff, a.a.O.). Dem entspreche auch die Vorbem. 4.1 Abs. 2 VV zum Teil 4 VV, wonach durch die (in dem VV bezeichneten) Gebühren die gesamte Tätigkeit des Rechtsanwalts entgolten wird.
III. Teilnahme an Zusatztermin Frage der Wertung in § 14 RVG
Das OLG Brandenburg sieht keine Erweiterungsmöglichkeit der Nr. 4102 VV auf sonstige Termine oder Sachverhalte. Nehme der Verteidiger bzw. hier die Nebenklägervertreterin an besonderen Terminen teil, die nicht gesondert gesetzlich abrechenbar seien, dann wäre dies – so das OLG – einer Würdigung nur in § 14 Abs. 1 RVG zugänglich. Handelt es sich um einen bestellten oder beigeordneten Rechtsanwalt, bliebe der Weg über § 51 RVG, sofern die Gebühren für den gerichtlich bestellten Rechtsanwalt in einer Gesamtschau nicht zumutbar erscheinen.
IV. Bedeutung für die Praxis
Der Entscheidung des OLG Brandenburg ist zuzustimmen. Eine Terminsgebühr (Nrn. 4102 f. VV) für Termine außerhalb der Hauptverhandlung erhält der Rechtsanwalt für die Teilnahme an polizeilichen, staatsanwaltschaftlichen oder richterlichen Vernehmungsterminen (Nr. 1, 2), für die Teilnahme an Terminen, in denen über die Anordnung oder Fortdauer der Untersuchungshaft oder der einstweiligen Unterbringung verhandelt wird (Nr. 3), ferner für Verhandlungen i.R.d. Täter-Opfer-Ausgleichs (Nr. 4) und für die Teilnahme an einem Sühnetermin nach § 380 StPO (Nr. 5). Das Gesetz regelt die Anwendbarkeit dabei explizit abschließend, ansonsten wäre die Aufzählung mittels "insbesondere" als offene Aufzä...