1. Die Entscheidung reiht sich nahtlos in die Reihe der Entscheidungen ein, die die Frage, welche Gebühren der Rechtsanwalt verdient, der nach § 141 Abs. 2 Nr. 1 StPO für eine Vorführung als Pflichtverteidiger beigeordnet wird, dahin falsch entscheiden, dass es sich nur um eine Einzeltätigkeit handelt und daher nur eine Gebühr Nr. 4301 Nr. 4 VV anfällt. Ich habe bereits in meinen Anmerkungen zu den Entscheidungen des OLG Celle (RVGreport 2019, 17 = StraFo 2018, 534 = JurBüro 2018, 580) und des LG Leipzig (RVGreport 2019, 338 = StraFo 2019, 439) darauf hingewiesen, dass der Rechtsanwalt in den Fällen nach dem Wortlaut der StPO-Vorschrift ausdrücklich als "Verteidiger" bestellt wird und sich seine Vergütungsansprüche daher nach Teil 4 Abschnitt 1 VV richten und nicht, wie das OLG meint, nach Teil 4 Abschnitt 3 VV. Dass das der Staatskasse und auch einem OLG wegen der Höhe der Gebühren nicht passt, liegt auf der Hand. Diese Diskussion haben wir schon zum alten Recht der Pflichtverteidigung geführt, sie setzt sich fort. War die nun auch vom OLG Stuttgart vertretene Ansicht schon früher falsch, dann ist sie es unter Anwendung des neuen Rechts der Pflichtverteidigung erst recht. Denn: Nach dem Wortlaut des § 141 Abs. 2 StPO wird dem Beschuldigten ausdrücklich "ein Pflichtverteidiger" bestellt. Damit ist der Rechtsanwalt in diesen Fällen "voller Verteidiger" und für die Anwendung der Nr. 4301 VV schon kein Raum mehr, weil die Subsidiaritätsklausel der Vorbem. 4.3 Abs. 1 VV eingreift (vgl. zur Subsidiarität auch Burhoff/Volpert/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl., 2021, Vorbem. 4.3 VV Rn 7 m.w.N.). M.E ist schon der Ansatz des OLG, das von vornherein auf den Teil 4 Abschnitt 3 VV zugreift, falsch und verstellt den Blick auf die richtige Lösung. I.Ü. lässt sich auch aus der Formulierung des AG-Beschlusses nichts anderes ableiten, denn die gibt nur das wieder, was in § 141 Abs. 2 Nr. 1 StPO geregelt ist: Bestellung des Rechtsanwalts für die Vorführung.
2. I.Ü.: Wenn man manche OLG-Entscheidungen liest, ist man erstaunt. So auch bei dieser. Zu der entschiedenen Frage gibt es abweichende Rspr. einiger LG und AG (vgl. LG Aachen, Beschl. v. 20.10.2020 – 60 Qs 47/20; LG Magdeburg, Beschl. v. 19.3.2018 – 25 Qs 14/18, RVGreport 2018, 257 = StRR 5/2018, 24 = StraFo 2018, 314 = AGS 2018, 340, 341; Beschl. v. 16.7.2021 – 21 Qs 53 u. 54/21, AGS 2021, 427 (zum neuen Recht); AG Halle (Saale), Beschl. v. 20.5.2022 – 398 Gs 540 Js 594/22 (259/22), AGS 2022, 311 = RVGprofessionell 2022, 170; AG Tiergarten, Beschl. v. 14.10.2022 – (278 Ds) 265 Js 277/22 (110/22), AGS 2022, 513 = RVGprofessionell 2022, 204). Auch wenn die Rspr. zum Teil zum früheren Recht ergangen ist, fragt man sich, warum sich das OLG mit den Entscheidungen, die, wie man sieht, veröffentlicht sind, nicht auseinandersetzt. Man führt allerdings auch noch nicht einmal die die eigene Auffassung stützende Rspr. an. Soll/kann/muss man daraus den Schluss ziehen, dass dem OLG Gebührenfragen lästig sind? Der Schluss liegt m.E. nahe. Man kann nur hoffen, dass er falsch ist.
Rechtsanwalt Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg
AGS 4/2023, S. 162 - 164